Der Experte für Kälte- und Kryotechnik Professor Steffen Grohmann vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) erhält einen Advanced Grant des Europäischen Forschungsrats (ERC). Damit fördert der ERC Grohmanns Projekt GRAVITHELIUM zur Entwicklung einer Schlüsseltechnologie für das Einstein-Teleskop (ET) – den europäischen Gravitationswellendetektor der nächsten Generation. GRAVITHELIUM zielt darauf ab, mit suprafluidem Helium die Empfindlichkeit kryogener Laser-Interferometer bis an fundamentale Grenzen auszuschöpfen. Diese Technologieentwicklung soll eine zentrale Herausforderung lösen, um Gravitationswellen des gesamten Universums mit dem Einstein-Teleskop zu observieren.
Der ERC zeichnet die Arbeit von Professor Grohmann und seinem Team im Panel „Universe Sciences“ aus. „Ich gratuliere Professor Steffen Grohmann zu dieser Förderung. Dass in einem Wettbewerbsfeld der Astronomie und Astrophysik ein Projekt zur Technologieentwicklung ausgewählt wird, ist bemerkenswert. Das unterstreicht die große Bedeutung dieser Forschung und Entwicklung am KIT für das Einstein-Teleskop sowie dessen Stellenwert für die Gravitationswellen-Physik und die Physik des Universums generell“, sagt der Vizepräsident Forschung des KIT, Professor Oliver Kraft.
Konzept soll höchstpräzise Messungen ermöglichen
Das Einstein-Teleskop ist ein geplantes europäisches Projekt zum Bau eines unterirdischen Laser-Interferometers mit kilometergroßen Ausmaßen. In dem Messprinzip, das dabei umgesetzt werden soll, sorgen Gravitationswellen aus den Tiefen des Universums durch die periodische Krümmung der Raumzeit für winzige Längenänderungen der Abstände zwischen rund 200 Kilogramm schweren Messspiegeln, welche die Laserstrahlen reflektieren.
Extreme Kälte unterbindet störendes Rauschen
Damit dies funktioniert, müssen die Spiegel von jeglicher Erschütterung und äußeren Einflüssen isoliert werden. Dafür hängen sie in meterhohen vakuumierten Türmen am unteren Ende mehrstufiger Pendel an feinsten Kristallfäden. „Bei Messungen in solchen Grenzbereichen reicht bei Raumtemperatur bereits das Rauschen der Brown‘schen Molekularbewegung in den Kristallfäden, um die Detektion zu stören“, erklärt Grohmann. „Dieses thermische Rauschen kann nur durch extrem niedrige Temperaturen verhindert werden. Die Schwierigkeit dabei ist, die Spiegel ohne mechanischen Eingriff und technische Rauscheinträge zu kühlen.“ Das wollen die Karlsruher Forschenden mit suprafluidem Helium bei Temperaturen von rund -271 Grad Celsius erreichen, also nur knapp über dem absoluten Nullpunkt. Denn Helium hat in diesem Zustand als Bose-Einstein-Kondensat herausragende Eigenschaften: Quanteneffekte führen zur Bildung eines extrem ruhigen Suprafluids ohne Viskosität, in dem Wärme nahezu widerstandslos fließt, ähnlich dem elektrischen Strom in einem Supraleiter.
Testzentrum entsteht
Die Funktionsweise hat das Team von Grohmann bereits auf theoretischer Ebene belegt. Eine neue Fragestellung in der Wissenschaft ist jedoch, ob und wie Energie aus mechanischen Vibrationen in dem Quantenfluid dissipiert, das heißt, in Wärme umgewandelt wird. Dafür soll GRAVITHELIUM experimentelle Daten liefern. Mithilfe des ERC Advanced Grants wird hierfür ein neues Testzentrum am KIT entstehen, an dem die Forschenden physikalische Grundlagendaten gewinnen und technische Herausforderungen für die praktische Anwendung klären.
„Das Projekt wird nicht nur dazu beitragen, das Einstein-Teleskop zu realisieren. Mögliche weitere Einsatzfelder für diese Technologie gibt es etwa im Quantencomputing, wo kleinste Vibrationen Quantenzustände beeinflussen“, so Grohmann.
Am KIT ist das Projekt in die Helmholtz-Forschungsprogramme „Matter and the Universe“ und „Matter and Technology“ sowie in das KIT-Zentrum Elementarteilchen- und Astroteilchenphysik (KCETA) eingebettet.
ERC Advanced Grants 2023
Der Europäische Forschungsrat (ERC) fördert mit den ERC Advanced Grants etablierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in unterschiedlichen Forschungsbereichen mit einer anerkannten wissenschaftlichen Erfolgsbilanz aus den letzten zehn Jahren vor einer Antragsstellung. Die Förderung soll Spitzenforschende dabei unterstützen, neue Forschungsgebiete zu erschließen. In der Ausschreibungsrunde 2023 bewarben sich 1 829 Forschende um eine Förderung, rund vierzehn Prozent davon mit Erfolg: Der ERC vergab Advanced Grants mit einem Gesamtvolumen von 652 Millionen Euro an 255 Forschungsprojekte.
Weitere Informationen zu den ERC Advanced Grants
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