Dr. Klaus Eitel vom Institut für Astroteilchenphysik (IAP) des KIT spricht im Campus-Report über die Geschichte der Dunklen Materie und die Suche nach ihr.
Die Eigenschaften der sogenannten Dunklen Materie und der Dunklen Energie gehören zu den größten Rätseln des Universums. Beide wurden eingeführt, weil eine Vielzahl astronomischer Beobachtungen sonst nicht zu erklären ist. Nach heutigen Vorstellungen besteht das Universum zu fast drei Vierteln aus Dunkler Energie, von dem verbleibenden Viertel entfallen rund 80 Prozent auf Dunkle Materie und nur etwa 20 Prozent auf das für uns sichtbare Universum: Atome, aus denen wir, unsere Umwelt, Planeten und Sterne aufgebaut sind. Weder über die Natur der Dunklen Materie noch der Dunklen Energie gibt es bis heute gesicherte Erkenntnisse. Forschende am KIT wollen Licht ins Dunkel bringen.
Die Ausgabe 2023/4 des Forschungsmagazins lookKIT beschäftigt sich mit dem Schwerpunktthema des Wissenschaftsjahrs 2023.
Zum MagazinAstrophysikalische und kosmologische Beobachtungen liefern starke Hinweise auf die Existenz der Dunklen Materie, vom Rotationsverhalten von Spiralgalaxien über den Zusammenhalt von Galaxienhaufen bis zur Entwicklung der Strukturen im Kosmos. „Ohne Dunkle Materie sähe unser Universum heute ganz anders aus”, sagt Professorin Kathrin Valerius, Leiterin der Abteilung Niedrigenergie-Universum am Institut für Astroteilchenphysik (IAP) des KIT, und ergänzt: „Beispielsweise gäbe es keine stabilen Galaxien, wie wir sie beobachten. Deren äußere Sterne haben eine viel zu hohe Geschwindigkeit, sie hätten die Galaxien längst verlassen.“
Dr. Klaus Eitel vom Institut für Astroteilchenphysik (IAP) des KIT spricht im Campus-Report über die Geschichte der Dunklen Materie und die Suche nach ihr.
Weltweit versuchen Forschende, den Eigenschaften der Dunklen Materie auf die Spur zu kommen. Die Dunkle Materie unterliegt nicht der elektromagnetischen Wechselwirkung, sie sendet also kein Licht aus und sie unterliegt auch nicht der starken Wechselwirkung, die Atomkerne zusammenhält. Sie unterscheidet sich damit grundlegend von der bekannten „sichtbaren” Materie. Bemerkbar macht sie sich vor allem durch die Gravitation. „Im Standardmodell der Elementarteilchen haben wir keine Erklärung – wir können aber ausschließen, dass es sich bei der Dunklen Materie um ein uns bereits bekanntes Teilchen handelt“, so Kathrin Valerius. „Wir sind nun auf der Suche nach neuen, bisher unentdeckten Teilchen, die uns auch zu einem neuen Verständnis der Teilchenphysik führen könnten.”
Es gibt eine große Vielfalt an Kandidaten für Bausteine der Dunklen Materie, zum Beispiel superschwere Neutrinos oder sogenannte Axionen, die milliardenfach leichter als Elektronen sein könnten. Weitere Möglichkeiten sind WIMPs (Weakly Interacting Massive Particles), die eine tausendfach größere Masse als Protonen haben könnten, oder primordiale Schwarze Löcher, die sich mit dem Urknall gebildet haben könnten. Jede dieser Hypothesen geht mit unterschiedlichen Szenarien für die Entstehung, die Teilchenmasse und mögliche Wechselwirkungen der Dunklen Materie einher. Ebenfalls diskutiert wird die Hypothese, dass es gar keiner Dunklen Materie bedarf, sondern die Gravitationsgesetze sich auf großen kosmischen Skalen ändern.
Dr. Klaus Eitel, Leiter der Gruppe Dunkle Materie und Neutrinos am IAP, erläutert, warum WIMPs zu den am häufigsten gehandelten Kandidaten für die Dunkle Materie gehören: „WIMPs sind seit langem ein so attraktiver und viel gesuchter Kandidat, weil die theoretischen Modelle, die ihre Existenz vorhersagen, zwei sehr wichtige Eigenschaften vereinen: die erwartete sehr niedrige Wechselwirkungsrate dieser Teilchen und ihr Vorhandensein schon im frühen Universum in genau der richtigen Menge, um den fehlenden Beitrag zur Energiedichte des Kosmos zu erklären.“
Diesem vielversprechenden Kandidaten auf die Spur kommen könnte man tief unter Tage: Abgeschirmt von den 1 400 Meter dicken Gesteinen des Apennins liegen tief unter dem Gran-Sasso-Massiv die Laboratori Nazionali del Gran Sasso (LNGS), die zu den weltweit größten unterirdischen Versuchslaboren zählen. Die Felsen halten die kosmische Strahlung ab – Partikelschauer, die durch hochenergetische Teilchen aus dem Weltall in unserer Atmosphäre ausgelöst werden und auf die Erdoberfläche treffen. Die Abschirmung ist notwendig: In den LNGS befinden sich einige der empfindlichsten Experimente der Welt zur Untersuchung von Elementarteilchen und deren Wechselwirkungen.
Eines dieser Experimente ist XENONnT, das bisher größte und empfindlichste in den LNGS, mit dessen Hilfe etwa 180 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus weltweit mehr als 20 Institutionen nach WIMPs suchen. Aus Deutschland beteiligen sich Forschungsgruppen des KIT, der Universitäten Freiburg, Mainz und Münster sowie des Max-Planck-Instituts für Kernphysik in Heidelberg.
Wenn Dunkle Materie das ganze Universum und insbesondere Galaxien ausfüllt, werden auch die Erde und die Sonne bei ihrem Umlauf um das galaktische Zentrum ständig von Dunkler Materie durchströmt. In manchen Fällen könnte die Dunkle Materie mit Atomkernen zusammenstoßen und einen Teil ihrer Energie abgeben. Diese Reaktionen wären extrem selten, außerdem lägen sie voraussichtlich in einem Energiebereich, wo sie von vielen anderen Ereignissen, etwa natürlicher Radioaktivität oder kosmischer Strahlung überdeckt werden könnten. Entsprechend selektiv und empfindlich muss das Experiment ausgelegt sein.
„Wir nutzen dafür bei XENONnT fast zehn Tonnen hochreines, bei -100 Grad Celsius verflüssigtes Xenon-Gas in einem Edelstahltank, der mit 500 hochempfindlichen Lichtsensoren bestückt ist“, erklärt Klaus Eitel. Trifft ein WIMP einen Xenon-Atomkern, so werden die Xenon-Atome durch den gestoßenen Atomkern angeregt und emittieren einen Lichtblitz, den die Lichtsensoren registrieren. Gleichzeitig werden durch den sich bewegenden Atomkern auch Elektronen in der Flüssigkeit freigesetzt, die durch ein elektrisches Feld an die Oberfläche geleitet werden, wo sie in einer dünnen Xenon-Gas-Atmosphäre einen zweiten Lichtblitz erzeugen.
„Die Kombination der beiden Lichtblitze in ihrer Stärke und ihrem zeitlichen Abstand ist dabei charakteristisch für einen gestoßenen Atomkern und kann sogar Hinweise auf die Masse des WIMPs geben“, so Klaus Eitel. „Um Störsignale durch Radioaktivität und durch kosmische Strahlung an der Erdoberfläche bestmöglich abzuschirmen, befindet sich der Detektor nicht nur tief unter Tage, sondern wird zusätzlich durch einen großen Wassertank geschützt.“
XENONnT ist im Jahr 2021 in Betrieb gegangen. Die bisherigen Daten zeigen, dass XENONnT dank ausgeklügelter und technisch komplexer Anlagen eine extrem hohe Reinheit des Xenons und damit eine besonders lange „Überlebensdauer“ der zu messenden Elektronen erreicht. Das ist gerade dann wichtig, wenn die Detektoren immer größer und damit die Driftstrecken der Elektronen immer länger werden. Gleichzeitig zeigt XENONnT ein bisher weltweit unerreicht niedriges Untergrundniveau von Elektronenstreuung im Detektor, was insbesondere die Empfindlichkeit des Detektors auf Signale bei kleinsten Energien nahe der Nachweisschwelle verbessert. Damit kann XENONnT auch zusätzlich zur Jagd nach den WIMPs bereits spannende Suchen nach „neuer Physik“ durchführen, wie beispielsweise nach Axionen-Teilchen aus der Sonne, nach sogenannten „Dunklen Photonen“ oder nach den magnetischen Eigenschaften des Neutrinos.
Die XENON-Gruppe am KIT war ab 2020 am Aufbau und an der Inbetriebnahme des XENONnT-Detektors beteiligt – teilweise unter schwierigen Bedingungen in der Pandemie. „Seitdem tragen wir zur Datennahme und zur Auswertung der Messungen bei. Zum Beispiel befasst sich eine Doktorarbeit in unserer Gruppe mit der Frage, wie man mit dem XENONnT-Detektor die nächste galaktische Supernova durch ihr Neutrinosignal nachweisen könnte und wie XENON damit zum globalen Supernova-Detektionsnetzwerk SNEWS beitragen kann“, gibt Klaus Eitel den aktuellen Stand wieder.
Während die laufende Generation von Xenon-Detektoren ihr wissenschaftliches Potenzial noch ausschöpft, laufen bereits die Planungen für die kommende Dekade: Das künftige DARWIN-Experiment soll neben der Suche nach WIMPs ein breites Spektrum von aktuellen physikalischen Fragen adressieren, beispielsweise ob Neutrinos ihre eigenen Antiteilchen sind. Dazu ist es nötig, die Größe des Detektors von aktuell rund zehn Tonnen Xenon um mindestens einen Faktor fünf zu erhöhen.
„Das KIT kann beim Aufbau von DARWIN seine ganzen Erfahrungen mit Großexperimenten einbringen“, blickt Kathrin Valerius in die Zukunft. „So können viele Technologien aus dem Neutrino-Experiment KATRIN des KIT in DARWIN einfließen, und auch das technische wie wissenschaftliche Personal aus insgesamt drei KIT-Instituten bringt wertvolle Erfahrungen ein. Außerdem erweitert sich unser Team ständig: So konnten wir in diesem Jahr Yanina Biondi von der Uni Zürich gewinnen, die sich im Rahmen ihrer YIG Prep Pro Fellowship mit der Entwicklung eines Hochspannungssystems für DARWIN befasst.“
Dr. Joachim Hoffmann, 14.12.2023