Routinierter Durchblick

Institut für Toxikologie und Genetik entwickelt neues, vollautomatisches Mikroskopverfahren zur Zebrafischlarvenanalyse.
Zebrabärblinge gelten als genetischer Modellorganismus.
Die Wissenschaftler haben eine vollautomatische Routine zur Bildverarbeitung entworfen.
Mit einer Art Schablone teilt das Bildverfahren die Embryos in Körperbereiche auf.

Seit  2002 werden am Institut für Toxikologie und Genetik am Campus Nord Zebrabärblinge bzw. ihr Laich für genetische Forschungen verwendet, ein europäisches Forschungszentrum für den Süßwasserfisch soll bis zum Frühjahr 2010 aufgebaut werden. Jetzt wurden die am Institut vorhandenen Screening-Mikroskope – dank enger Zusammenarbeit zwischen den beiden KIT-Instituten, dem biomedizinischen Institut für Toxikologie und Genetik (ITG) und dem Institut für Angewandte Informatik (IAI) sowie dem Department of Medical and Molecular Genetics an der University of Birmingham – mit einem neuartigen, vollautomatischen Bildverarbeitungsverfahren kombiniert. Eine präzisere, bildgebende Analyse und einfachere und umfangreichere Genomanalysen an Zebrafischembryonen können so durchgeführt werden.

Kleine Fische – große Wirkung

Warum bietet sich überhaupt eine Antwort auf Fragen der Genetik aus dem Aquarium an? Zebrabärblinge können als genetischer Modellorganismus gelten. Sie vermehren sich im Rekordtempo: mit zwölf bis 16 Wochen bis zur Geschlechtsreife haben sie einen kurzen Generationszyklus. Ein Weibchen kann unter idealen Bedingungen wöchentlich bis zu 300 Eier ablaichen. Der Nachwuchs wächst unabhängig von der Mutter heran. Innerhalb von 24 Stunden nach der Befruchtung ist der Grundbau des Fisches sichtbar.

Mit seiner moderaten Größe von sechseinhalb Zentimetern Länge und seinen genügsamen Ansprüchen an Wasser, Futter und Beckengröße ist der zur Familie der Karpfenfische gehörende Liebling der Forscher ein vergleichsweise preiswertes Labortier. Gleichzeitig sind die Embryonen groß genug, um einzelne Zellen oder Zellverbände entfernen oder in einen anderen Embryo transplantieren zu können: klassische Transplantationsexperimente können so an den Bärbling angepasst werden. Insbesondere aber ihre Transparenz im embryonalen Stadium macht den Danio rerio  unschlagbar: alle Zellen sind bis in frühe Larvenstadien sichtbar - ideale Voraussetzungen für das Mikroskopieren. Als Wirbeltiere und diploide Organismen weisen sie eine große Ähnlichkeit zum Menschen auf und eignen sich perfekt für genetische Analysen und Screens. Der Organismus hat auch die erstaunliche Fähigkeit, wichtige Organe des Körpers nachwachsen zu lassen: Nicht nur abgestorbenes Gewebe an der Wirbelsäule, der Netzhaut oder den Flossen, sondern auch des Herzens oder des Gehirns kann sich in kurzer Zeit nachbilden - das macht den Fisch für Kardiologen und Demenzforscher interessant.

Bessere und schnellere Auswertung für Aussagen zur Genaktivität


Neue Aussagen über die Genregulation treffen zu können, ist eines der Ziele am ITG. Nicht selten sind nämlich Krankheiten – von Parkinson bis Krebs – die Folge eines Fehlens, einer Über- oder ein Unterangebotes eines oder mehrerer Genprodukte im Körper. Würde man organspezifische Genregulation besser verstehen, könnte man zum Beispiel ganz gezielt bei einem Mangel an einem bestimmten Protein in einem Organ die entsprechende Produktion „aktivieren“.

Bekannte biologische Genmanipulationsmethoden wie die Dechorionation, bei der die Eihülle entfernt wird, um eine Injektion in das Erbgut des Zebrabärblings vornehmen zu können, oder andere manuelle Be- und Verarbeitungen sind sehr zeitaufwändig und personalintensiv. Durch das Bildmaterial, das bei den Screeningprozessen entstand, fielen in der Vergangenheit riesige, schwer handhabbare Datensätze in den Datenbanken an. Ziele sind automatisierte Handhabungssysteme mit automatisierten Auswerteroutinen, die auch eine zufriedenstellende Visualisierung liefern.

Seit 2007 wurden an über 40.000 Zebrabärblingslarven Untersuchungen durchgeführt, bei denen Ergbutveränderungen ausgelöst wurden: Spezifische Gewebebereiche, in denen zwei DNA-Sequenzen – den die Transkription verstärkenden, wie ein Gen-Schalter wirkenden Enhancern und den essentiellen, die Transkription steuernden Promotern – aktiviert waren, erzeugten fluoreszierende Proteine. Um diese fluoreszenten Signale nicht per Hand auswerten zu müssen, wurde eine vollautomatische Routine zur Bildverarbeitung entworfen – in Zusammenarbeit der Arbeitsgruppen „High Content Screening“ von Dr. Urban Liebel, „Image Processing“ von Dr. Markus Reischl und „Zebrafish biology“ von Dr. Ferenc Müller aus Birmingham.

Läuft diese Routine ab, untersucht das Robotermikroskop die Probe ähnlich wie ein Wissenschaftler. Durch das unterschiedliche Aussehen der genmanipulierten Embryonen, ist eine einheitliche Erkennung von Körperteilen nicht möglich - aber trainierte Strukturen können durch das Mikroskop und seine Bildverarbeitungsroutine erkannt werden. Eine vorherige Platzierung oder Fixierung der Testlarven ist dazu nicht mehr nötig: das Mikroskop findet den Embryo im Bild, und die Bildverarbeitung richtet ihn durch Drehung, Wenden oder Begrenzung aus, damit die Bilder optimiert und anschließend mit einer Art Schablone in Körperbereiche (Key embryo domains) aufgeteilt werden können. Die Schablone ist eine synthetische Referenz, die aus den ausgewerteten 12.582 Larven und einigen manuell markierten Beispielen errechnet wurde.

Mittels dieser Schablone ist es nun möglich, jedem der acht segmentierten Körperteile des Zebrafischembryos eine Kennzahl für die vorhandene Fluoreszenz zu geben und so die Aktivität von Enhancern und Promotern für alle Embryonen eines Experimentes zu quantifizieren und zusammenzufassen. Insgesamt konnten so elf verschiedene Enhancer mit 19 Promotoren kombiniert werden, so dass auf 213 516 Bildern insgesamt 201 Kombinationen erfasst werden konnten.

Die Ergebnisse der Arbeit wurden jetzt im Dezember in der Druckversion des monatlich erscheinenden britisch-amerikanischen Fachmagazins Nature Methods (Verlinkung zum Abstract siehe http://www.nature.com/nmeth/journal/v6/n12/abs/nmeth.1396.html), einem der ranghöchsten wissenschaftlichen Journals mit Review Prozess im Bereich Biotechnolologie veröffentlicht - und zwar mit dem Auszeichnungsstatus eines „Articles“.

Als Promoter, auch Promotor (ursprünglich franz. promoteur, Anstifter, Initiator, Urheber), wird in der Genetik eine DNA-Sequenz bezeichnet, die die regulierte Expression eines Gens ermöglicht, also das Kopieren der DNA-Stellen zur RNA. Sie liegen am 5'-Ende und somit vor dem RNA-kodierenden Bereich.

Enhancer (engl. enhance „verstärken“) sind Basensequenzen in der DNA, die zu den cis-Elementen gehören. Sie beeinflussen die Anlagerung des Transkriptionskomplexes an den Promoter und verstärken somit die Transkriptionsaktivität eines Gens.

Das Institut für Toxikologie und Genetik (ITG) unter Professor Uwe Strählebeschäftigt sich mit der Aufklärung der molekularen Grundlagen von normalen und krankhaften Prozessen im Körper von Mensch und Tier. Wichtige Forschungsthemen sind Krebsentstehung und Metastasierung, die Embryonalentwicklung bei Fliegen und Fischen, die Mechanismen des Proteintransports in Zellen sowie die Wirkung von technikbedingten Umweltschadstoffen auf die Zelle. Ab Frühjahr 2010 wird das ITG mit einem europäischen Forschungszentrum für Zebrabärblinge aufwarten, das mit seinen angestrebten 8000 Zuchtlinien den Forschern wie eine Bibliothek zur Verfügung stehen soll - eine Mutantenlinie kann direkt abgeholt und mitgenommen werden oder die Infrastruktur steht gleich vor Ort für die Experimente des Gastforschers zur Verfügung.

Das Institut für Angewandte Informatik (IAI) unter Professor Georg Bretthauerbetreibt Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet innovativer, anwendungsorientierter Informations-, Automatisierungs- und Systemtechnik. Im IAI werden Systemlösungen für Aufgabenstellungen aus den Programmen Erneuerbare Energien, Rationelle Energieumwandlung und Nutzung, Nano- und Mikrosysteme, Bio-Grenzflächen, Technologie, Innovation & Gesellschaft, Wissenschaftliches Rechnen sowie Atmosphäre und Klima erarbeitet.