Unterwegs E-Mails lesen, Musik herunterladen, Videos anschauen: für Smartphone-Nutzer eine Selbstverständlichkeit. Dass die europäischen Märkte bei der mobilen Kommunikation aber weit hinter dem Top-Innovationsland Japan liegen, belegt eine Studie des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). Als wichtigsten Faktor für den wirtschaftlichen Erfolg nennt sie den härteren technologischen Wettbewerb in Japan – und fordert diesen, und weitere Maßnahmen, auch für Europa.
Das mobile Internet gab es in Japan bereits Ende der 1990er-Jahre, Daten-Flatrates seit fast zehn und digitales Fernsehen seit fünf Jahren: Neue Services kommen häufiger, schneller und günstiger auf den Markt als in Europa. Als Motor dieser Innovationskraft nennt Dr. Arnd Weber vom ITAS, Hauptautor der Studie „Mobile Service Innovation: A European Failure“, die Konkurrenz zwischen den Anbietern. „Anders als in Europa, herrscht in Japan auf allen Ebenen des mobilen Internets Wettbewerb – angefangen bei den Netzwerktechnologien über die Geräte bis hin zu kundenorientierten Inhalten und Diensten“. Dadurch können die Mobilfunkanbieter ihre Serviceangebote technologisch sehr gut ausdifferenzieren. Auf eine einzige Netzwerktechnologie zu setzen – wie Europa es mit dem digitalen Mobilfunkstandard GSM (Global System for Mobile Communications) gemacht hat – biete zwar die Vorteile der Massenproduktion und ermögliche Anbietern einen hohen Gewinn im SMS-Geschäft, bremse aber die Entwicklung innovativer, viel genutzter und günstiger mobiler Internetservices. „In manchen Ländern Europas sind die Einnahmen pro Kunde in dieser Branche ähnlich wie in Japan – allerdings bieten die Geräte weniger Funktionen, Daten und Dienste sind teurer“, so Weber. Dass weltweit agierende Anbieter Europa so weit voraus sind, habe auch ernste Konsequenzen für den Arbeitsmarkt: „Bei uns gehen Jobs mit hohen Einkommen in den wichtigen Industriezweigen Computer und Elektronik verloren.“
Denn das japanische Erfolgsmodell haben sich andere längst abgeschaut: In ihrer Studie zeigen die Innovationsforscher auch, dass das Geschäftsmodell des iPhones des amerikanischen Unternehmens Apple – mit seinem sehr populären System aus Inhalten und Services – auf den Konzepten basiert, die vor über einem Jahrzehnt zuerst auf dem japanischen Markt ausgearbeitet wurden. „Apple hat die Kernpunkte des japanischen Systems erfolgreich angepasst – mit einem ausgeklügelten Zusammenspiel von Netzwerken, Endgeräten und Anwendungen, das einfach zu nutzende und durchgehende end-to-end-Services liefert“, sagt Betriebswirt und Japanologe Dr. Michael Haas, der Co-Autor der Studie ist. „Damit hat Apple die westliche Mobilfunkbranche revolutioniert – während europäischen Anbietern der Transfer nicht gelang.“ Die Studie beschreibt, wie viele Innovationen im Bereich mobiler Dienstleistungen, die Apple aktuell für das iPhone-Geschäft nutzt, in japanischen „Anbieter-Clubs“ entwickelt wurden, die – gemeinsam mit ihren jeweiligen Technologie- und Anwendungsentwicklern – um Marktanteile kämpfen. „Japan hat einen harten technologischen Wettbewerb, weil die Anbieter unterschiedliche Funkstandards benutzen, die wiederum zu unterschiedlichen Kosten und Charakteristika jedes ‚Clubs‘ führen“, sagt Daniel Scuka, Co-Autor des Berichts und früherer Journalist für Technologie-Themen in Japan. Folge seien zum Beispiel deutlich höhere Downloadgeschwindigkeiten und die Vergabe neuer Frequenzbänder an neue Wettbewerber, je nach Marktentwicklung.
Genau das Fehlen dieses Technikwettbewerbs, so die Studie, führe zur Stagnation auf den europäischen Märkten. Sie empfiehlt daher Maßnahmen, die zwar schwierig umzusetzen seien, aber notwendig, um die Wettbewerbsfähigkeit wieder herzustellen: etwa mit lizenzfreien, aber leistungsstarken Nutzungen des Funkspektrums, die zum Beispiel eine kostenlose Kommunikation erlauben – über eine dem WLAN ähnliche Technologie, jedoch mit größerer Reichweite. Als weitere Maßnahme empfiehlt die Studie folglich auch bei der drahtlosen Kommunikation die Märkte für neue Technologien und Wettbewerber über entsprechende Lizenzerteilungen zu öffnen. „Ein neues, europaweites Lizenzsystem würde mit Sicherheit für neue Dynamik sorgen“, sagt Dr. Arnd Weber. „Dafür braucht es mutige Schritte – fehlende Risikobereitschaft überlässt amerikanischen und asiatischen Firmen die Führung.“ Die Beispiele Japan und Apple zeigten, dass technologischer Wettbewerb zu einer gewinnbringenden Entwicklung für alle Player auf dem Markt führen kann, mit großem Gewinn – auch für die Kunden. Denn nicht zuletzt, so die Studie, sei auch die Kundenorientierung ein japanischer Erfolgsfaktor, an dem sich Europa orientieren müsse.
Die Studie “Mobile Service Innovation: A European Failure" erschien 2011 in der Fachzeitschrift “Telecommunications Policy“, Volume 35, Issue 5. DOI: 10.1016/j.telpol.2011.03.002 und wurde inzwischen auch auf Japanisch veröffentlicht. Die Studie sowie weitere Informationen sind im Internet verfügbar unter: http://www.itas.kit.edu/iut_lp_webe09_nunet.php .
IT am KIT: Die Jahreshighlights
Auf der CeBIT in Hannover präsentiert das KIT derzeit aktuelle Forschung aus seinen Schwerpunkten COMMputation sowie Anthropomatik und Robotik (Halle 26, Stand G33). Auch bei seinem Jahresempfang, zu dem das KIT am 22. März zahlreiche Partner aus Industrie und Wissenschaft erwartet, steht die Informationstechnologie im Fokus. Und im Herbst feiert am KIT die erste deutsche Fakultät für Informatik ihr 40-jähriges Bestehen.
Die Informationstechnologie am Karlsruher Institut für Technologie bündelt sich in zwei Schwerpunkten. Das Leitthema des KIT-Schwerpunkts COMMputation ist die Verflechtung von Kommunikation und Computertechnologie. Damit werden Geräte möglich, die ihre Umgebung wahrnehmen, mit ihr interagieren und sich anpassen. Um solche komplexen, technischen Geräte zu entwickeln, arbeiten Forscher aus den Bereichen Informatik, Elektrotechnik, Informationstechnik sowie Wirtschaftswissenschaften an neuen Konzepten, Architekturen, Verfahren, Werkzeugen und Anwendungen.
Ziel des KIT-Schwerpunktes Anthropomatik und Robotik ist die Verbesserung der Lebensqualität des Menschen. Mit Methoden aus Informatik, Maschinenbau, Elektro- und Informationstechnik sowie Geistes- und Sozialwissenschaften entwickelt er symbiotische Systeme. Als Leitbild dienen Anatomie, Motorik, Wahrnehmung und Verhalten des Menschen. Die Forschungsthemen erstrecken sich vom maschineller Intelligenz und menschenzentrierter Robotik, über multimodale Interaktion und Robotertechnologie bis hin zur Industrierobotik.
Als „Die Forschungsuniversität in der Helmholtz-Gemeinschaft“ schafft und vermittelt das KIT Wissen für Gesellschaft und Umwelt. Ziel ist es, zu den globalen Herausforderungen maßgebliche Beiträge in den Feldern Energie, Mobilität und Information zu leisten. Dazu arbeiten rund 10 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf einer breiten disziplinären Basis in Natur-, Ingenieur-, Wirtschafts- sowie Geistes- und Sozialwissenschaften zusammen. Seine 22 800 Studierenden bereitet das KIT durch ein forschungsorientiertes universitäres Studium auf verantwortungsvolle Aufgaben in Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft vor. Die Innovationstätigkeit am KIT schlägt die Brücke zwischen Erkenntnis und Anwendung zum gesellschaftlichen Nutzen, wirtschaftlichen Wohlstand und Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Das KIT ist eine der deutschen Exzellenzuniversitäten.