Presseinformation 053/2013

Galaktisches Knie und extragalaktischer Knöchel

KASCADE-Grande-Experiment am KIT gibt Hinweise auf extragalaktische Komponente der kosmischen Strahlung
Mit dem Messfeld KASCADE-Grande auf dem Gelände des KIT untersuchten die Wissenschaftler Teilchenschauer, die durch Kosmische Strahlung ausgelöst werden. (Foto: KIT)
Mit dem Messfeld KASCADE-Grande auf dem Gelände des KIT untersuchten die Wissenschaftler Teilchenschauer, die durch Kosmische Strahlung ausgelöst werden. (Foto: KIT)

Die Daten des KASCADE-Grande-Experimentes des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) zeigen, dass das sogenannte „Knie“ der kosmischen Strahlung, ein Abknicken des Energiespektrums bei hohen Energien, für leichte und schwere Teilchen bei unterschiedlichen Energien auftritt. Für die leichten Teilchen zeigten die Wissenschaftler nun, dass das Energiespektrum bei Energien jenseits des Knies wieder abflacht und eine Art „Knöchel“ bildet. Diese Struktur ist ein Hinweis, dass die Teilchen der kosmischen Strahlung mit Energien jenseits des Knies nicht in der Milchstraße, sondern in anderen Galaxien beschleunigt werden.

 

Ein wichtiges Ergebnis des KASCADE-Grande-Experimentes am KIT ist der Nachweis, dass ein charakteristischer Knick im Energiespektrum der hochenergetischen kosmischen Strahlung, auch „Knie“ genannt, für leichte und schwere Primärteilchen bei unterschiedlichen Energien auftritt. Die Position des Knies scheint dabei mit der Ladung der Atomkerne zu variieren: KASCADE-Grande detektierte das „Eisen-Knie“ bei 26-mal höherer Energie als ein Knie im Spektrum der Wasserstoffkerne. Aktuelle Ergebnisse des KASCADE-Grande-Experimentes zeigen ein Abflachen (auch „Anti-Knie“ oder „Knöchel“) des Spektrums leichter Primärteilchen oberhalb einer Energie von 1017 Elektronenvolt. Diese Struktur ist ein Hinweis auf das Auftreten einer neuen, nun extragalaktischen Komponente der kosmischen Strahlung. Dieses für die Hochenergie-Astrophysik wichtige Ergebnis haben die Wissenschaftler nun in der Zeitschrift „Physical Review D“ veröffentlicht.

 

KASCADE-Grande war ein Messfeld für kosmische Strahlung auf dem Gelände des KIT-Campus Nord. Das mit 37 Detektorstationen erweiterte KASCADE-Experiment konnte über mehr als ein Jahrzehnt Teilchenschauer messen, die von hochenergetischer primärer kosmischer Strahlung ausgelöst werden. „Mit KASCADE-Grande konnten Schauer von Sekundärteilchen gemessen werden, die von Primärteilchen kosmischen Ursprungs mit Energien von 1014 bis 1018 Elektronenvolt erzeugt wurden“, erklärt Dr. Andreas Haungs, der das KASCADE-Grande-Projekt am KIT leitet. 1018 Elektronenvolt: Das liegt um mehrere Größenordnungen über den Energien, die die größten Teilchenbeschleuniger auf der Erde erreichen. Das weltweit bekannte und anerkannte Experiment wurde im vergangenen Jahr endgültig abgeschaltet, konnte aber bei der Gesamtanalyse aller genommenen Daten nun noch einmal ein wissenschaftliches Highlight entdecken.

 

Das Spektrum der kosmischen Strahlung mit Knie und Knöchel

Das Spektrum der kosmischen Strahlung mit Knie und Knöchel. Während das Knie für leichte und schwere Primärteilchen bei verschiedenen Energien auftritt, ist jetzt von KASCADE-Grande erstmals eine knöchelartige Struktur bei leichten Primärteilchen detektiert worden. (Graphik: KIT)

 

Der Fluss der kosmischen Strahlung, also der Primärteilchen, die wohl überall im Universum zu finden sind, nimmt mit zunehmender Energie der Teilchen stark ab. Ewas oberhalb einer Energie von 1015 Elektronenvolt ändert sich die „Steilheit“ der Energieabnahme: Dadurch entsteht ein Knick im Spektrum, das „Knie“ der kosmischen Strahlung. KASCADE-Grande konnte zeigen, dass das Knie für leichte und schwere Elemente bei unterschiedlichen Energien auftritt, und dass dieser Unterschied mit der Ladung zusammenhängt. Doch woher kommt das Knie und warum ist dessen Ursache abhängig von der Ladung des kosmischen Teilchens? Eine mögliche Erklärung hierfür geben die Magnetfelder in der näheren Umgebung der kosmischen Beschleuniger. Diese funktionieren zu hohen Energien hin effektiver für Teilchen mit höherer Ladung. Zudem besitzt unsere eigene Galaxie eine magnetische Hülle, die ein Entweichen eines Großteils der Teilchen aus unserer Milchstraße verhindert. Aus den bisherigen Ergebnissen von KASCADE-Grande konnte geschlossen werden, dass die primären Partikel der kosmischen Strahlung nur bis zu Energien um 1017 Elektronenvolt in unserer Milchstraße erzeugt und gespeichert werden können. Teilchen mit noch höherer Energie haben demnach ihren Ursprung außerhalb der Milchstraße. Der Übergang von einer galaktischen zu einer ex-tragalaktischen kosmischen Strahlung wird im Energiebereich von knapp oberhalb 1018 Elektronenvolt, beim sogenannten „Knöchel“ des Spektrums vermutet. Folgt man der obigen Theorie zur Entstehung des Knies, sollte der Übergang zu einer überwiegend extragalaktischen kosmischen Strahlung zuerst im Energiespektrum der leichten Primärteilchen sichtbar werden, da zunächst diese aus ihrer Heimatgalaxie entweichen.

 

Die jetzt gelungene Identifizierung einer knöchelartigen Struktur in der leichten Komponente schon bei relativ niedrigen Energien bevorzugt Theorien, die einen frühen Beitrag der extragalaktischen kosmischen Strahlung vorhersagen. „Ob es sich bei den von KASCADE-Grande gemessenen hochenergetischen leichten Primärteilchen tatsächlich um Atomkerne aus einer anderen Galaxie handelt, kann aber erst durch die Hinzunahme zukünftiger Ergebnisse anderer Experimente, die das Spektrum bei den höchsten Energien untersuchen, bestätigt werden“, gibt Sven Schoo, der als Diplomand am KIT federführend die Analyse durchgeführt hat, schon einen Ausblick auf die Zukunft in diesem Forschungsbereich. Eines dieser Experimente ist das Pierre-Auger-Observatorium in Argentinien, an dessen Aufbau und wissenschaftlicher Auswertung das KIT ebenfalls beteiligt ist.

 

Das KASCADE-Grande-Projekt ist eingebunden in eine internationale Kollaboration mit Wissenschaftlern in den Universitäten und Forschungsinstituten aus Lodz (Polen), Michoacana (Mexiko), Turin (Italien), Bukarest (Rumänien), Siegen und Wuppertal (Deutschland), Sao Paulo (Brasilien) sowie Nijmegen (Niederlande). Das Experiment wird nach Beendigung der Messphase momentan abgebaut, die genommenen Daten unterliegen aber noch der detaillierten Analyse zu verschiedenen Fragestellungen in der Astroteilchenphysik.

Die Ergebnisse wurden soeben von der wissenschaftlichen Zeitschrift „Physical Review D“ in der Ausgabe D 87, Nr. 081101(R), 2013 publiziert.

 

 

Als „Die Forschungsuniversität in der Helmholtz-Gemeinschaft“ schafft und vermittelt das KIT Wissen für Gesellschaft und Umwelt. Ziel ist es, zu den globalen Herausforderungen maßgebliche Beiträge in den Feldern Energie, Mobilität und Information zu leisten. Dazu arbeiten rund 10 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf einer breiten disziplinären Basis in Natur-, Ingenieur-, Wirtschafts- sowie Geistes- und Sozialwissenschaften zusammen. Seine 22 800 Studierenden bereitet das KIT durch ein forschungsorientiertes universitäres Studium auf verantwortungsvolle Aufgaben in Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft vor. Die Innovationstätigkeit am KIT schlägt die Brücke zwischen Erkenntnis und Anwendung zum gesellschaftlichen Nutzen, wirtschaftlichen Wohlstand und Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Das KIT ist eine der deutschen Exzellenzuniversitäten.

jh, 26.04.2013
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