Presseinformation 086/2014

KIT-Forscher schützen die Prinzessin vor der Erbse

Elastische Tarnkappe aus flexiblem Material erlaubt das Verstecken vor dem Ertasten / mechanisches Metamaterial in Millimeter Größe hergestellt
Mechanische Tarnkappe: Metamaterialien schützen Objekte an der Unterseite vor dem ertastet werden. (Bild: T. Bückmann/KIT)
Mechanische Tarnkappe: Metamaterialien schützen Objekte an der Unterseite vor dem ertastet werden. (Bild: T. Bückmann/KIT)

Tarnkappen wurden in den letzten Jahren für verschiedenste Sinne entwickelt. Objekte lassen sich etwa vor Licht, Wärme oder Schall verstecken. Was bis jetzt jedoch fehlte, war es, das Ertasten eines Objektes zu verhindern. Nun ist es gelungen einen Bereich zu schaffen, in dem man etwas vor dem Erfühlen verstecken kann, wie etwa eine Erbse unter der Matratze einer Prinzessin. Die Wissenschaftler stellen ihre Ergebnisse nun in der renommierten Zeitschrift Nature Communications vor. (DOI: 10.1038/ncomms5130)

 

Zauberer und Illusionisten lassen Dinge verschwinden, indem sie gekonnt Sinnestäuschung und gut platzierte Ablenkungsmanöver einsetzen. Forscher des KIT dagegen nutzen Tarnkappen, die auf den Gesetzen der Physik beruhen. In den letzten Jahren wurden verschiedene physikalische Tarnkappen entwickelt; optische Tarnkappen beispielsweise lassen Gegenstände unsichtbar erscheinen, während andere Wärme oder Schall scheinbar unbeeinflusst passieren lassen. Eine vollkommen neue Art stellt die von Forschern des KIT entwickelte mechanische Tarnkappe dar, die erstmals das Ertasten eines Gegenstandes verhindert.

 



Mit dem Finger oder einem passenden Kraft-Messgerät lassen sich keine Informationen über die Unterseite des Materials gewinnen (Bild: T. Bückmann/KIT)

 

Grundlage der Tarnkappe ist ein sogenanntes Metamaterial, das aus einem Polymer-Werkstoff aufgebaut wird. Seine wesentlichen Eigenschaften erhält es aus seiner speziellen Struktur. „Hieraus bauen wir eine Struktur rund um den zu versteckenden Gegenstand, in der die Festigkeit auf definierte Weise vom Ort abhängt“, erklärt Tiemo Bückmann vom KIT, der Erstautor der Arbeit. „Die Kombination aus Präzision der Bauteile sowie der Größe des Gesamtobjekts stellte eine der großen Hürden in der Entwicklung der mechanischen Tarnkappe dar.“ Das Metamaterial ist ein nanometergenau geformter kristalliner Werkstoff. Er besteht aus nadelförmigen Stegen, deren Spitzen zusammentreffen. Die Größe der Kontaktpunkte ist genau berechnet, um die gewünschten mechanischen Eigenschaften zu erreichen. Auf diese Art entsteht ein Material, durch das ein Finger oder ein Messgerät nicht hindurch tasten kann.

 

In der nun vorgestellten Umsetzung der Tarnkappe ist in die unterste Lage eine harte Schale eingesetzt, in deren Hohlraum beliebige zu tarnende Objekte platziert werden können. Würde man oberhalb der harten Schale einen leichten Schaum oder sehr viele Lagen Watte schichten, wäre die Schale schwerer zu ertasten, aber noch als Form fühlbar. Erst der Einsatz der Metamaterialstruktur führt die Kräfte eines Tastfingers so ab, dass die Anwesenheit der Schale vollkommen getarnt ist. „Man kann es sich wie in Hans-Christian Andersens Märchen von der Prinzessin auf der Erbse vorstellen. Die Prinzessin bemerkt die Erbse trotz der vielen Matrazen. Nutzt man hingegen unser neues Material, würde eine Matratze ausreichen, damit die Prinzessin gut schlafen kann.“ erläutert Bückmann.

 


Das Material besteht aus genau berechneten nadelförmigen Elementen, sodass die Festigkeit auf definierte Weise vom Ort abhängt. (Bild: T. Bückmann/KIT)

 

Die Umsetzung einer solchen mechanischen Tarnkappe ist jedoch komplex. Nach der Definition der gewünschten mechanischen Eigenschaften werden die physikalischen Grundgleichungen mathematisch invertiert, um darauf zu schließen, wie die Struktur des Metamaterials sein muss. Mit diesem Verfahren lassen sich Materialien planen, die so in der Natur nicht vorkommen. Zum Beispiel Feststoffe, die steif gegenüber Druck sind, sich aber weich gegenüber Scherung verhalten. Bei der Herstellung aus Polymer-Werkstoff kommt das Verfahren des direkten Laserschreibens des KIT-Spinoffs Nanoscribe zum Einsatz. Es erlaubt, die notwendige Nanometer-Präzision über die gesamte Probengröße von einigen Millimetern einzuhalten.

 

Die mechanische Tarnkappe ist physikalische Grundlagenforschung, könnte aber das Tor für interessante Anwendungen in einigen Jahren aufstoßen, da sie Materialien mit frei wählbaren mechanischen Eigenschaften ermöglicht. Beispiele sind etwa sehr dünne, leichte und dennoch bequeme Campingmatrazen oder Teppiche, die darunterliegende Kabel und Rohre verbergen.

 

Als „Die Forschungsuniversität in der Helmholtz-Gemeinschaft“ schafft und vermittelt das KIT Wissen für Gesellschaft und Umwelt. Ziel ist es, zu den globalen Herausforderungen maßgebliche Beiträge in den Feldern Energie, Mobilität und Information zu leisten. Dazu arbeiten rund 10 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf einer breiten disziplinären Basis in Natur-, Ingenieur-, Wirtschafts- sowie Geistes- und Sozialwissenschaften zusammen. Seine 22 800 Studierenden bereitet das KIT durch ein forschungsorientiertes universitäres Studium auf verantwortungsvolle Aufgaben in Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft vor. Die Innovationstätigkeit am KIT schlägt die Brücke zwischen Erkenntnis und Anwendung zum gesellschaftlichen Nutzen, wirtschaftlichen Wohlstand und Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Das KIT ist eine der deutschen Exzellenzuniversitäten.

kes, 19.06.2014
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