Presseinformation 087/2015

Studierende am KIT: Rund ein Viertel lebt „multilokal“

Eine Umfrage des KIT zeigt – etwa 25 Prozent der Studierenden haben neben Karlsruhe einen zweiten Lebensmittelpunkt, an dem sie einen großen Teil ihres Alltags verbringen
Besonders zu Beginn des Studiums leben viele Studierende multilokal (Foto: Monika Müller-Gmelin)
Besonders zu Beginn des Studiums leben viele Studierende multilokal (Foto: Monika Müller-Gmelin)

Wer über mindestens zwei Wohnsitze verfügt oder seinen Alltag überwiegend an mehr als einem Wohnort verbringt, lebt multilokal. Weil das moderne Verkehrsnetz schnelles und kostengünstiges Reisen über große Entfernungen ermöglicht, sind multilokale Lebensentwürfe heute verbreiteter denn je – etwa Langstrecken-Pendler mit Einliegerwohnung am Arbeitsort oder Ruheständler mit Ferienhaus im Grünen. Erstmals hat die Geographin Caroline Kramer nun die Multilokalität am KIT untersucht. Demnach lebt ein Viertel der Studierenden multilokal.

 

Mehr als 9.400 Beschäftigte und über 24.000 Studierende am KIT prägen eine Großstadt wie Karlsruhe mit rund 300.000 Einwohnern enorm. „Die An- und Abwesenheit dieser Gruppe spiegelt sich deutlich im Stadtbild wider und erzeugt eine zeitliche Rhythmik. Wenn etwa in der vorlesungsfreien Zeit viele Studierende in ihre Heimatstädte zu den Eltern fahren, sieht ein studentisch geprägtes Viertel wie die campusnahe Oststadt völlig anders aus als während des Semesters“, sagt Caroline Kramer vom Institut für Geographie und Geoökologie IfGG.

 

„Wenn Personen sich im Alltag regelmäßig und für längere Zeit an mehr als einem Standort aufhalten, sprechen wir von einer multilokalen Lebensweise. Diese residentielle Multilokalität zeigt sich in allen Bevölkerungsteilen – bei Berufstätigen, die am weiter entfernten Arbeitsort eine kleine Wohnung unterhalten und nur an den Wochenenden zuhause bei ihrer Familie sind, bei wohlhabenden Ruheständlern, die den Winter im sonnigen Süden verbringen – sogenannte ‚Snow Birds‘ – und natürlich bei jungen Studierenden, die an zwei Orten – oft dem Wohnort der Eltern und dem Ort des Studiums – verwurzelt sind“, erläutert die Professorin.

 

Sicher sind auch im 15. Jahrhundert schon Studierende von der Universität Heidelberg in das heimatliche Worms, Speyer oder Mainz gereist, um die Eltern zu besuchen. Doch weil man zu Fuß, Pferd oder Kutsche ganze Tage und viel Geld für die Reise in den nächsten größeren Ort investieren musste, war das Potential für multilokales Wohnen und Leben auf die unmittelbare Umgebung des Studienortes beschränkt. Ganz anders in der Gegenwart: Das gut ausgebaute Verkehrsnetz ermöglicht heute schnelles und billiges Reisen bis in alle Winkel Deutschlands und begünstigt damit multilokales Leben bei Studierenden.

 

Doch wie ausgeprägt ist Multilokalität unter den Studierenden des KIT? Und wie verändert sich diese, das Stadtbild prägende Lebensweise über die Zeit? Basierend auf einer Online-Umfrage unter mehr als 1.600 Studierenden am KIT hat Caroline Kramer diese Fragen nun im Rahmen eines umfassenden Fachartikels beantwortet.

 

Rund ein Viertel der befragten Studierenden gab demnach an, sich während der vorlesungsfreien Zeit nicht am Studienort Karlsruhe, sondern vorwiegend am entfernten Wohnort der Eltern aufzuhalten, lebt also multilokal. Diese Zahlen decken sich mit den Angaben zum Wohnsitz: Rund 25 Prozent der Studierenden sind in Karlsruhe lediglich mit einem Nebenwohnsitz gemeldet.

 

Vor Ort in Karlsruhe lebt von diesen multilokalen Studierenden etwas mehr als die Hälfte in Wohngemeinschaften und je knapp ein Viertel im Studentenwohnheim oder allein in der eigenen Wohnung. Damit leben multilokale Studierende im Vergleich zu den restlichen monolokalen – also „sesshaften“ – Studierenden überdurchschnittlich häufig in WGs und Wohnheimen.

 

„Gruppiert man die befragten Studierenden nun nach der Semesterzahl, zeigt sich eine interessante Entwicklung. Während unter den Erst- und Zweitsemestern noch rund 40 Prozent die vorlesungsfreie Zeit bei den Eltern verbringen, sinkt dieser multilokale Anteil im Laufe des Studiums kontiniuierlich bis auf 16 Prozent unter den Neunt- und Höhersemestrigen“, so Caroline Kramer. Und auch bei der Wohnform zeigt sich im Laufe des Studiums eine deutliche Entwicklung: Bis zum 9. Semester sinkt der Anteil der Studierenden, die in Wohnheimen leben, deutlich ab, dagegen steigt der Anteil derer, die in einer WG oder zusammen mit einem Partner wohnen.

 

„Fasst man diese Ergebnisse zusammen, zeigt sich eine deutliche Sesshaftwerdung zugunsten einer monolokalen Lebensweise. Junge Studierende in Karlsruhe unterhalten zunächst noch sehr enge soziale Kontakte zu Verwandten und Freunden am Herkunftsort und verbringen dort viel Zeit. Im Laufe des Studiums bauen sie sich in Karlsruhe ein neues soziales Netzwerk auf und lernen vielleicht auch einen Partner kennen. Die Besuche in der Heimat werden in der Folge seltener und sie werden zu echten ‚Karlsruhern‘. Diese kontinuierliche Loslösung vom Elternhaus führt sie schließlich aus dem Wohnheim in die Wohngemeinschaft oder die gemeinsame Wohnung mit dem Partner.“

 

Dies bedeutet allerdings keineswegs, dass multilokale Studierende zu Beginn des Studiums Karlsruhe lediglich als „Arbeitsort“ ansehen. Ganz im Gegenteil zeigt sich bei Ihnen auch in der Freizeit ein starkes Engagement – etwa in Sportvereinen der Region Karlsruhe, im Kulturbereich oder in Hochschulgruppen des KIT. Damit tragen auch multilokale Studierende zu einer lebendigen Karlsruher Szene bei.

 

Ein weiteres bemerkenswertes Ergebnis der Studie ist die Tatsache, dass virtuelle soziale Netzwerke wie etwa Facebook zwar eine wichtige Rolle bei der Pflege weit entfernter Kontakte spielen, im näheren sozialen Umfeld in der Nutzungsfrequenz aber hinter dem persönlichen Kontakt, Telefonaten oder Kurznachrichten rangieren. Im studentischen Alltag werden die realen Kontakte durch virtuelle Netzwerke also ergänzt, aber nicht ersetzt.

 

Bisher weiß man nur wenig über den Umfang und die Ausprägungen der residentiellen Multilokalität Studierender an anderen Hochschulstandorten, so dass die Karlsruher Studie Pilotcharakter besitzt.

 

Quelle: „Multilokalität als Kennzeichen des akademischen Lebens: eine empirische Studie unter Studierenden und Mitarbeiter/inne/n des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT)“, Caroline Kramer. Erschienen 2015 in: „Mobil und doppelt sesshaft: Studien zur residenziellen Multilokalität“ / (Universität Wien, Institut für Geographie und Regionalforschung).

 

Die von Caroline Kramer geleitete Arbeitsgruppe Humangeographie setzt sich unter anderem mit den Folgen zunehmender residentieller Multilokalität auseinander. Mit empirischen Analysen schaffen sie die Grundlage für eine zukunftssichernde räumliche Planung und für die Lösung raumbezogener Konflikte.

 

Weitere Informationen zur Forschung von Caroline Kramer im KIT-Expertenportal unter http://www.pkm.kit.edu/kit_experten_kramer.php.

 

Das KIT verfügt über umfangreiche fachliche Kompetenzen zur Erforschung, Entwicklung und integrativen Planung der Stadt der Zukunft in allen wesentlichen Aspekten. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus fünf KIT-Zentren – Klima und Umwelt; Energie; Mobilitätssysteme; Mensch und Technik; Information, Systeme, Technologien – befassen sich aus disziplinärer Perspektive und in inter- und transdisziplinärer Weise mit der Erforschung und nachhaltigen Gestaltung urbaner Räume.

 

Als „Die Forschungsuniversität in der Helmholtz-Gemeinschaft“ schafft und vermittelt das KIT Wissen für Gesellschaft und Umwelt. Ziel ist es, zu den globalen Herausforderungen maßgebliche Beiträge in den Feldern Energie, Mobilität und Information zu leisten. Dazu arbeiten rund 10 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf einer breiten disziplinären Basis in Natur-, Ingenieur-, Wirtschafts- sowie Geistes- und Sozialwissenschaften zusammen. Seine 22 800 Studierenden bereitet das KIT durch ein forschungsorientiertes universitäres Studium auf verantwortungsvolle Aufgaben in Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft vor. Die Innovationstätigkeit am KIT schlägt die Brücke zwischen Erkenntnis und Anwendung zum gesellschaftlichen Nutzen, wirtschaftlichen Wohlstand und Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Das KIT ist eine der deutschen Exzellenzuniversitäten.

ne, 30.07.2015
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