Presseinformation 001/2015

Wie Zellen miteinander sprechen

Forschung am Europäischen Zebrafisch-Ressourcenzentrum des KIT ermöglicht Einblicke in die Entwicklung des Zentralnervensystems bei Wirbeltieren – Publikation in Nature Communications
Steuerung der Zelldifferenzierung: Lange, blau markierte Zellfortsätze tragen an ihrer Spitze den rot eingefärbten Botenstoff Wnt. Kontaktstellen färben sich gelb. (Aufnahme: Eliana Stanganello und Steffen Scholpp)
Steuerung der Zelldifferenzierung: Lange, blau markierte Zellfortsätze tragen an ihrer Spitze den rot eingefärbten Botenstoff Wnt. Kontaktstellen färben sich gelb. (Aufnahme: Eliana Stanganello und Steffen Scholpp)

Bei der Embryonalentwicklung von Wirbeltieren signalisieren Botenstoffe jeder einzelnen Zelle, an welcher Position sie sich befindet. So kann die Zelle ihre spezielle Struktur und Funktion ausbilden. Forscher am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) haben nun erstmals gezeigt, dass die Botenstoffe über lange fadenförmige Zellfortsätze gebündelt weitergegeben werden. In Untersuchungen an Zebrafischen fanden die Wissenschaftler am Europäischen Zebrafisch-Ressourcenzentrum (EZRC) des KIT heraus, wie sich der Transport der Botenstoffe auf die Signaleigenschaften auswirkt. Eine Publikation in der Zeitschrift Nature Communications stellt die Ergebnisse vor.

 

Organismen, Organe und Gewebe sind komplexe dreidimensionale Systeme, die aus Tausenden von Zellen verschiedener Zelltypen bestehen. Bei der embryonalen Entwicklung von Wirbeltieren benötigt jede einzelne Zelle die Information, an welcher Position im Gewebe sie sich befindet. Diese Positionsinformation ermöglicht es der Zelle, sich zu einem bestimmten Zelltyp auszubilden, um dann die korrekte Funktion auszuüben. Vermittelt wird sie über Signalmoleküle, sogenannte Morphogene. Diese kommen im Gewebe nicht gleichmäßig verteilt vor; ihre Konzentration variiert. Verschiedene Konzentrationen aktivieren unterschiedliche Gene in der Zielzelle.

 

Die Zellen im sich entwickelnden Zentralnervensystem erhalten ihre Positionsinformation über Signalmoleküle, die zur Familie der Wnt-Proteine gehören. Dabei bestimmt die Konzentration der Wnt-Proteine, ob sich eine Zelle in eine Zelle des Vorderhirns oder des Rückenmarks differenziert. „Die Verbreitung dieser Signalmoleküle muss genau kontrolliert werden“, erklärt Dr. Steffen Scholpp, Gruppenleiter am Institut für Toxikologie und Genetik (ITG) des KIT. „Kleinste Veränderungen der Konzentration oder der Transportrichtung können zu schweren Schäden führen, beispielsweise zu massiven Fehlbildungen in der Embryonalentwicklung oder zur Entstehung von Krebs.“

 

Die Arbeitsgruppe um Dr. Steffen Scholpp hat nun zum ersten Mal gezeigt, dass die Wnt-Proteine über lange Zellfortsätze, sogenannte Filopodien, zielgerichtet weitergegeben werden. Wie die Wissenschaftler im Magazin Nature Communications berichten, werden die Signalfaktoren nur auf der Spitze der Filopodien geladen. So können sie nach Kontaktaufnahme sofort signalisieren: Sie binden an die entsprechenden Rezeptoren der Zielzelle und induzieren die korrekte Zellantwort. „Somit kann die Quellzelle genau entscheiden, wie viel Signalstoff welche Zielzelle zu welchem Zeitpunkt bekommt“, erläutert Scholpp. In Untersuchungen an Zebrafischen und an humanen Zelllinien gelang es den KIT-Forschern, die Zellfortsätze zu vermehren oder zu reduzieren und die dadurch veränderten Signaleigenschaften der Wnt-Morphogene zu analysieren.

 

Eliana Stanganello, Anja I.H. Hagemann, Benjamin Mattes, Claude Sinner, Dana Meyen, Sabrina Weber, Alexander Schug, Erez Raz & Steffen Scholpp: Filopodia-based Wnt transport during vertebrate tissue patterning. Nature Communications, Published 5 January 2015. DOI: 10.1038/ncomms6846

 

Über das EZRC
Das Europäische Zebrafisch-Ressourcenzentrum (EZRC) des KIT bietet ein zentrales Archiv zur Haltung und Verteilung von Zebrafischstämmen für die Forschung. Zebrafische sind ideale Modellorganismen, um beispielsweise die Ursachen von Krebs oder Herzerkrankungen oder die Wirkung von Medikamenten zu untersuchen: Als Wirbeltiere haben sie die meisten Organsysteme mit dem Menschen gemeinsam. Die Eier der Zebrafische sind zudem transparent und entwickeln sich außerhalb des Körpers der Mutter: So lässt sich am Embryo oder an der ebenfalls durchsichtigen Larve die Entwicklung von Organen oder sogar von einzelnen Zellen beobachten. Das EZRC stellt als Zebrafisch-Screening-Zentrum überdies innovative Technologien wie die Hochdurchsatz-Synthese von möglichen Arzneimittelwirkstoffen, Genomsequenzierung, Robotik sowie Software für Probenhandling, Mikroskopie und Bildanalyse bereit.

 

Als „Die Forschungsuniversität in der Helmholtz-Gemeinschaft“ schafft und vermittelt das KIT Wissen für Gesellschaft und Umwelt. Ziel ist es, zu den globalen Herausforderungen maßgebliche Beiträge in den Feldern Energie, Mobilität und Information zu leisten. Dazu arbeiten rund 10 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf einer breiten disziplinären Basis in Natur-, Ingenieur-, Wirtschafts- sowie Geistes- und Sozialwissenschaften zusammen. Seine 22 800 Studierenden bereitet das KIT durch ein forschungsorientiertes universitäres Studium auf verantwortungsvolle Aufgaben in Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft vor. Die Innovationstätigkeit am KIT schlägt die Brücke zwischen Erkenntnis und Anwendung zum gesellschaftlichen Nutzen, wirtschaftlichen Wohlstand und Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Das KIT ist eine der deutschen Exzellenzuniversitäten.

or, 07.01.2015
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