„Wir müssen zwei Krisen bewältigen“
Zahlreiche Mikroorganismen, Pilze, Pflanzen und Tiere schaffen eine einzigartige Artenvielfalt auf der Erde. Sie tragen dazu bei, dass die Menschen in einem stabilen Klima leben und dass natürliche Kreisläufe funktionieren. Der Klimawandel führt jedoch zu Veränderungen von Ökosystemen und Biodiversität. Wie sich Klima- und Naturschutz zusammendenken lassen, untersuchen Forschende am Karlsruher Insitut für Technologie (KIT).
„Der Klimawandel hat Auswirkungen auf die Artenvielfalt, dafür gibt es immer mehr Beweise“, sagt Professor Mark Rounsevell eindringlich, „und die Auswirkungen sind gravierend, denn der Mensch ist von der Biodiversität abhängig.“ Rounsevell ist Leiter der Forschungsgruppe Landnutzungsänderung und Klima am Institut für Meteorologie und Klimaforschung des KIT. Nach den Folgen des Artensterbens gefragt, findet er klare Worte: „Wenn einzelne Arten aus einem Ökosystem fallen, funktioniert es nicht mehr. Die Natur kann dann ihre für uns überlebenswichtigen Leistungen nicht mehr erbringen.“
Biodiversität reguliert Klimasystem
Derzeit verschiebe der vom Menschen verursachte Anstieg der Temperaturen die wärmeren Klimazonen weiter nach Norden und Süden, erklärt Rounsevell. Das ändere das Lebensumfeld der einzelnen Arten. Um zu überleben, müssten sie sich mit den Klimazonen bewegen. Denn jede Art habe spezielle Anforderungen in Bezug auf Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Trockenheitsgrad oder der Wassermenge im System. „Tiere sind mobil aber Pflanzen sind langsamer, sie können sich nur durch Ausbreitung von Samen fortbewegen. Einige Arten werden deshalb aussterben, da sie sich nicht anpassen können“, erklärt der Umweltwissenschaftler.
Doch was passiert genau, wenn einzelne Arten verschwinden und der ökologische Kreislauf unterbrochen wird? „Pflanzen und Algen produzieren Sauerstoff. Ohne sie fehlt dieser in der Luft, die wir atmen. Die biologische Vielfalt versorgt uns mit Nahrung, Pflanzenfasern und Holz. Wenn Insektenarten aussterben, wirkt sich das auf Vögel aus, die sich davon ernähren, aber auch auf die Bestäubung von Pflanzen und damit auf die Ernte“, verdeutlicht Rounsevell.
Gleichzeitig regele die biologische Vielfalt das Klimasystem, weil sie Kohlendioxid aus der Atmosphäre aufnehme und den Kohlenstoff in Pflanzenmaterial oder Böden speichere. Es gebe demnach zwei Umweltkrisen, die gemeinsam bewältigt werden müssten, schlussfolgert Rounsevell. „Ohne die biologische Vielfalt gäbe es einen viel stärkeren Klimawandel, das ist der entscheidende Punkt.“ Denn die Ökosysteme der Welt würden etwa ein Viertel der gesamten Treibhausgasemissionen absorbieren, die der Mensch in die Atmosphäre abgibt.
„Ohne die biologische Vielfalt gäbe es einen viel stärkeren Klimawandel."
- Prof. Mark Rounsevell
Wasserverschmutzung durch fehlende Pflanzen
Ebenfalls zum Thema Biodiversität, Ökosystemfunktionen und Klimawandel forscht Professor Wolfgang Wilcke, der die Forschungsgruppe Geomorphologie und Bodenkunde am Institut für Geographie und Geoökologie (IfGG) des KIT leitet. „Die Ergebnisse aus unseren Forschungsprojekten zeigen, die Biodiversität ist sowohl Treibende als auch Getriebene beim Wandel der Umwelt, es ist ein komplexes Zusammenspiel“, erklärt der Professor. Im „Jena-Experiment“ beispielsweise haben Wilcke und sein Team die Effekte der Biodiversität im Grünland untersucht, insbesondere den Zusammenhang zwischen der Artenvielfalt und dem Stickstoff- und Phosphor-Kreislauf.
„Wir konnten in dem Langzeitprojekt nachweisen, wenn weniger Arten vorhanden sind, können diese Elemente dem Kreislauf entwischen und in Grund- und Oberflächenwasser gelangen. Denn eine Zusammensetzung aus verschiedenen Pflanzen mit unterschiedlichen Wurzeltiefen kann Nitrat besser filtern. Das heißt, mit weniger Diversität steigt das Risiko für Wasserverschmutzung“, so Wilcke. Außerdem erhöhe eine bessere Nährstoffrückhaltung die Biomasse, was der Atmosphäre Kohlendioxid entzieht. Das Jena-Experiment beweist aufgrund seiner Breite, dass ein Verlust der Artenvielfalt negative Konsequenzen für viele einzelne Komponenten und Prozesse in Ökosystemen hat. „Die Biodiversität macht unsere Umwelt widerstandsfähiger, sie hilft dabei, uns besser an den Klimawandel anzupassen“, sagt Wilcke.
„Die Biodiversität macht unsere Umwelt widerstandsfähiger, sie hilft dabei, uns besser an den Klimawandel anzupassen.“
- Prof. Wolfgang Wilcke
Mischwälder als Luftfilter
In einem weiteren Projekt, den Biodiversitäts-Exploratorien mit unterschiedlich intensiv genutztem Wald und Grünland, untersuchte die Arbeitsgruppe vom IfGG die Bedeutung der Artenvielfalt für die Nährstoffkreisläufe. Auch hier zeigten sich positive Effekte der Biodiversität. „Wir konnten sehen, dass verschiedene Baumarten mehr Stickstoff aus der Atmosphäre in der Waldkrone abfangen als eine Monokultur. Das heißt, wenn die Wälder artenreicher sind, kommt weniger Stickstoff am Boden an, der ins Grundwasser gelangen kann. Der Grund dafür ist, dass artenreiche Waldkronen strukturreich sind, auch aus mehreren Schichten bestehen und unterschiedliche Blattstellungen und Oberflächenformen aufweisen, was besser filtert“, erklärt Wilcke.
Eine bessere Stickstoffrückhaltung fördert auch die Aufnahme von Kohlendioxid aus der Atmosphäre und bremst damit den Klimawandel. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler konnten in dem Projekt auch beobachten, dass artenreiche Wälder Kohlenstoff länger speichern und damit länger der Atmosphäre entziehen. „Auch das bedeutet weniger Kohlendioxid in der Atmosphäre.“
Die Ausgabe 3/2023 des Forschungsmagazins lookKIT dreht sich rund um den Klimawandel.
Zum MagazinArtenschutz und Klimaschutz zusammendenken
Mit welchen Maßnahmen kann die Politik demnach dem Klimawandel entgegenwirken und die Biodiversität erhalten? Mark Rounsevell gibt zu bedenken: „Die Bedeutung der Ökosysteme als Kohlenstoffsenker wird von der Politik oft als entscheidend für die Bewältigung des Klimawandels angesehen. Deshalb wird die Wiederaufforstung forciert und Bioenergie soll fossile Brennstoffe ersetzen. Diese Maßnahmen könnten sich jedoch auch negativ auf die biologische Vielfalt auswirken.“
Der Grund: Das Land ist begrenzt. Je mehr Fläche für die Anpflanzung von Bäumen, für Kohlenstoffvorräte oder für Bioenergie genutzt wird, desto weniger Raum für die Nahrungsmittelproduktion gibt es. Als Folge müssten wir Nahrungsmittel importieren, deren Anbau womöglich anderswo wertvolle Ökosysteme verdrängt habe. „Wir müssen die biologische Vielfalt und den Klimawandel zusammen betrachten, weil sonst Gegensätze zwischen dem Klimasystem und den Ökosystemen unter den Tisch fallen“ fordert der Wissenschaftler. Es sei unabdingbar, die Biodiversität zu erhalten, aber auch die Wirtschaft zu dekarbonisieren, sich von fossilen Brennstoffen zu trennen und den Verbrauch von Ressourcen und Energie zu reduzieren.
Heike Marburger, 25.09.2023