Navigationssystem der Hirnzellen entschlüsselt

Forscher des KIT entschlüsseln, wie Nervenzellen den genetischen Hirnbauplan umsetzen. Ein Protein-Navigationssystem leitet die Nervenfasern beim Wachstum.
Hirnentwicklung in der Petrischale: Axone (grün) der Nervenzellen der Netzhaut lesen beim Wachstum mit molekularen Antennen (magenta) an ihrem Ende chemische Signale, die zum Ziel führen. (Bild: KIT, Weth)

Das menschliche Gehirn besteht aus etwa hundert Milliarden Nervenzellen. Informationen zwischen ihnen werden über ein komplexes Netzwerk aus Nervenfasern übermittelt. Verdrahtet werden die meisten dieser Verbindungen vor der Geburt nach einem genetischen Bauplan. Wie das Navigationssystem funktioniert, das die Nervenfasern beim Wachstum leitet, haben jetzt Forscher des KIT entschlüsselt. Das berichten sie im Fachmagazin eLife.

Die Gesamtlänge des Nervenfasernetzes im Gehirn beträgt etwa 500.000 Kilometer, mehr als die Entfernung zwischen Erde und Mond. Damit es beim Verdrahten der Verbindungen keine Verwicklungen gibt, steuert ein Navigationssystem das Wachstum der Nervenfasern. Franco Weth von der Abteilung Zell- und Neurobiologie des Zoologischen Instituts erklärt, wie die Axone ihr Ziel finden: Sensormoleküle an ihren Enden dienen als Antennen. Mit ihnen empfangen sie Lenkungssignale in Gestalt von Proteinen. Diese sind auf dem Weg und im Zielgebiet positioniert, aber auch auf anderen Fasern, die den Weg kreuzen. Im Ziel angekommen bilden die Axone Verknüpfungen mit anderen Nervenzellen, die Synapsen.

Als Beispiel für eine solche Verdrahtung nennt Weth die Verbindung zwischen Netzhaut und Gehirn. Genetisch vorprogrammiertes „neuronales Hardwiring“ sorgt dafür, dass die Bildpunkte der Netzhaut eins zu eins im Sehzentrum abgebildet werden. Eine überlebensnotwendige Fähigkeit, die sich evolutionär herausgebildet hat und nicht durch eigene Erfahrung erworben werden muss.

Erstaunlich: Während der Reise werden die Faserantennen zunehmend unempfindlicher für die eingehenden Signale ihres Protein-Navigationssystems. Der Zielort ist jedoch letztlich nicht durch die Stärke eines Signals, sondern durch ein bestimmtes Verhältnis mehrerer Signale gekennzeichnet. Die Antennen bewahren erstaunlicherweise strikt das Verhältnis der Signalstärken zueinander. Diese Art der gekoppelten Signalregulation ist in der Biologie höchst ungewöhnlich. Warum dieser der naiven Erwartung – ein starkes Signal führt sicher ans Ziel – zuwiderlaufende Abstumpfungsprozess bei der Lenkung der Axone stattfindet, können die Forscher bislang nur vermuten. Mit ihren Erkenntnissen tragen die Forscher letztlich auch zum Verständnis von Krankheiten bei, die durch Fehler bei der vorgeburtlichen Verdrahtung entstehen.

Mehr Informationen in der Presseinformation 106/2017.

 

mex, 28.07.2017