Ein ressourcenschonender Betrieb von Teilchenbeschleunigern und anderen Großanlagen ist Ziel des EU-Forschungsprojekts Research Facility 2.0 (RF 2.0). Seit Jahresbeginn arbeiten zehn europäische Projektpartner koordiniert vom Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) an optimierten Komponenten und digitalen Lösungen, um den Energieverbrauch von Beschleunigersystemen zu senken. Die Europäische Kommission (Horizon Europe) und das Schweizer Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation fördern das Projekt mit insgesamt 5,6 Millionen Euro für drei Jahre. Das Testfeld KITTEN am KIT spielt bei RF 2.0 eine zentrale Rolle: Hier analysieren die Forschenden wichtige Kenngrößen und entwickeln realitätsnahe Demonstratoren.
Teilchenbeschleuniger sind nicht nur in zahlreichen Forschungsfeldern wichtig, auch in industriellen Anwendungen und in der Medizin kommen weltweit Tausende Beschleuniger zum Einsatz, zum Beispiel in der Materialprüfung oder in der Strahlentherapie. Die Hochleistungsgeräte sind wahre Energiefresser: Der jährliche Energieverbrauch großer Anlagen kann mehrere Hundert Gigawattstunden (GWh) betragen. Das ist vergleichbar mit dem Verbrauch mittelgroßer europäischer Städte. Bisherige Ansätze, den Energieverbrauch und den CO2-Fußabdruck von Teilchenbeschleunigern zu reduzieren oder nachhaltigere Materialien einzusetzen, konzentrierten sich auf spezifische technische Themen. Das Projekt RF 2.0 verfolgt hingegen einen umfassenden Ansatz, um den Energieverbrauch von Teilchenbeschleunigern zu reduzieren.
Ziel: Beschleuniger mit erneuerbaren Energien betreiben
„Wir vereinen Fachwissen aus Physik und Energietechnologie. Unsere Vision ist es, Teilchenbeschleuniger sicher, stabil sowie vollständig mit erneuerbarer Energie zu betreiben, möglichst unabhängig vom öffentlichen Stromnetz und mit weniger Auswirkungen auf die Umwelt“, sagt Professor Giovanni De Carne vom Institut für Technische Physik des KIT. De Carne ist Projektkoordinator von RF 2.0 und hat das Projekt zusammen mit Professorin Anke-Susanne Müller, Leiterin des Instituts für Beschleunigerphysik und Technologie des KIT, initiiert. Zehn Partner arbeiten bei RF 2.0 zusammen, darunter fünf der größten Teilchenbeschleuniger-Einrichtungen Europas – ALBA Synchrotron (Spanien), CERN (Frankreich/Schweiz), das Deutsche Elektronen-Synchrotron DESY in Hamburg, das Helmholtz-Zentrum Berlin und das MAX IV Laboratory (Schweden) – sowie spezialisierte Technologieunternehmen.
Realitätsnahe Tests mit Blick auf Energieeffizienz und Netzstabilität
Ein zentrales Element des Projekts ist das Testfeld KITTEN (steht für: KIT Testfeld für Energieeffizienz und Netzstabilität in großen Forschungsinfrastrukturen) mit dem Forschungsbeschleuniger KARA und dem Energy Lab am KIT. „Diese Infrastruktur ermöglicht es uns, Energieeffizienz und Netzstabilität in großen Forschungsinfrastrukturen realitätsnah zu untersuchen und zu testen“, so De Carne. Aktuell läuft die Analysephase. „Eine Herausforderung ist, dass Teilchenbeschleuniger immer eine sehr hohe, konstante und störungsfreie Leistungsversorgung benötigen und bisher hinsichtlich der Spannungsqualitäten nicht flexibel sind. In unseren Tests versuchen wir Zusammenhänge zu verstehen, erstellen Mitigationsstrategien, also Ansätze, um negative Effekte und Kostenanalysen zu reduzieren, analysieren den CO2-Fußabdruck der Geräte und erstellen eine Nachhaltigkeitsmatrix.“
Darauf aufbauend stehen im weiteren Projektverlauf das Erarbeiten von Lösungen für energieeffizientere Technologien mit besserem Wirkungsgrad auf dem Plan. Der Fokus liegt auf vier Bereichen: neue, hocheffiziente Komponenten; der Einsatz digitaler Lösungen für optimierte Betriebszeiten, beschleunigte Start- und Abschaltprozesse sowie zur Verbesserung des Designs und Betriebs; die Integration kohlenstoffarmer Technologien durch die Nutzung erneuerbarer Energien und Energiespeichersysteme sowie mehr Flexibilität im Energieverbrauch mithilfe dynamischer Überwachungs- und Kontrollsysteme.
Mehr Effizienz durch Künstliche Intelligenz (KI) und digitale Zwillinge
In Demonstratorprojekten testen und validieren die Forschenden des KIT gemeinsam mit den Projektpartnern konkrete Ansätze unter realistischen Bedingungen. „Wir arbeiten beispielsweise an Lösungen, wie wir mithilfe von KI Beschleuniger effizienter und flexibler betreiben können. Zudem entwickeln wir einen digitalen Zwilling, um neue Energietechnologien künftig schneller validieren zu können“, erklärt De Carne. Eines der Projekte wird sich mit der Flexibilisierung von Rechenzentren beschäftigen, um schwankende Erträge erneuerbarer Energien nutzen zu können. Ein weiteres testet Messsysteme, die Störungen im Netz erkennen und schnellere Reaktionen bei Schwankungen ermöglichen.
„All diese Forschungsarbeiten sind stark transferorientiert“, so De Carne. „Ziel der jeweils beteiligten Technologieunternehmen ist es, aus den Lösungen, an denen wir hier gemeinsam arbeiten, konkrete Produkte für den praktischen Einsatz zu entwickeln.“ Dabei beschränkt sich das Anwendungsspektrum nicht nur auf Teilchenbeschleuniger in der Forschung. „Von unseren Konzepten profitieren auch andere energieintensive Bereiche – von MRTs in Krankenhäusern über schwerindustrielle Anlagen in der Stahl- und Zementherstellung bis hin zu einem effizienteren Betrieb von Rechenzentren.“
Nächster Meilenstein: KARA-Dashboard macht Ergebnisse frei zugänglich
Derzeit entwickeln De Carne und sein Team ein offenes Dashboard des Karlsruher Forschungsbeschleunigers, um die gewonnenen Daten und Ergebnisse bestmöglich auch externen Forschenden sowie Entwicklerinnen und Entwicklern zugänglich zu machen. Diese sehen dann in Echtzeit den Energieverbrauch des Beschleunigers und den CO2-Fußabdruck sowie die Effekte durch die jeweils getesteten alternativen Lösungen.
Als „Die Forschungsuniversität in der Helmholtz-Gemeinschaft“ schafft und vermittelt das KIT Wissen für Gesellschaft und Umwelt. Ziel ist es, zu den globalen Herausforderungen maßgebliche Beiträge in den Feldern Energie, Mobilität und Information zu leisten. Dazu arbeiten rund 10 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf einer breiten disziplinären Basis in Natur-, Ingenieur-, Wirtschafts- sowie Geistes- und Sozialwissenschaften zusammen. Seine 22 800 Studierenden bereitet das KIT durch ein forschungsorientiertes universitäres Studium auf verantwortungsvolle Aufgaben in Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft vor. Die Innovationstätigkeit am KIT schlägt die Brücke zwischen Erkenntnis und Anwendung zum gesellschaftlichen Nutzen, wirtschaftlichen Wohlstand und Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Das KIT ist eine der deutschen Exzellenzuniversitäten.