Biomedizin: Der Zellkern als Vorbild für den Mikrochip der Zukunft?

Computerchips spielen heute eine Schlüsselrolle in fast allen Aspekten des Alltags. Als Herzstück moderner Technologien regeln sie die Funktion von Haushaltsgeräten, koordinieren die verschiedenen Systeme in Fahrzeugen und ermöglichen den Betrieb von Handys und Laptops. Ein ähnliches Prinzip kommt auch in biologischen Organismen zum Einsatz: Ihr Computerchip ist die DNA im Zellkern. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) arbeiten daran, ein besseres Verständnis dieser DNA-basierten Informationssysteme zu entwickeln und damit zukünftig die Steuerung biotechnologischer und biomedizinischer Anwendungen zu ermöglichen.

Professor Lennart Hilbert untersucht mit seiner Forschungsgruppe „Computational Architectures in the Cell Nucleus“ am Institut für Biologische und Chemische Systeme des KIT, wie die Prozesse im Zellkern genau funktionieren. Das Ziel der Forschenden ist es, eine DNA-basierte Hardware für die Zukunft zu entwickeln. „Wir wissen, dass jede unserer Zellen ein Informationssystem ist, das die DNA als zentralen Datenspeicher benutzt. Wir wollen diese bestehenden Systeme, die von der Evolution gestaltet wurden, verstehen, von der Natur lernen und ihre Funktionsweise kopieren. Mit diesem Wissen könnten wir dieselben Funktionen in einfacheren Systemen nachbauen“, erläutert Hilbert.

Bisher gebe es in der biologischen Medizintechnologie jedoch keine zufriedenstellenden Möglichkeiten, Chips zu verbauen. Eine neue DNA-basierte Hardware müsse außerdem auf physikalischen Prinzipien basieren, die sich deutlich von elektronischer Hardware unterscheidet, so der Systembiologe. Die Informationsverarbeitung müsse zum Beispiel in Flüssigkeit stattfinden und nicht in einer statischen Architektur.

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Grundlagenforschung

Die Ausgabe 2024/4 des Forschungsmagazins lookKIT widmet sich der Suche nach Erkenntnis.

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Der Zellkern: Seit Jahrzehnten bekannt, aber noch nicht enträtselt

Wie der Zellkern genau aufgebaut ist, wissen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schon seit Jahrzehnten. Er speichert und verwaltet den Zugriff auf mehr als ein Gigabyte DNA-kodierter Informationen. Der Zugriff darauf erfolgt parallel, die Prozesse, die auf den genetischen Informationen basieren, sind vollständig in die Zellfunktion integriert. „Da sind sehr verlässliche Muster, die wir sehen können. Was diese Architektur für die Zelle genau leistet, versuchen wir durch unsere Grundlagenforschung herauszufinden“, erklärt Hilbert.

Das gezielte Auslesen von Informationen hängt mit der dreidimensionalen Organisation der DNA im Zellkern zusammen, vermuten die Forschenden. Einige Regionen des Genoms werden entfaltet, andere verdichtet. Diese adaptive 3D-Organisation der DNA könnte für eine effektive Informationsverarbeitung im Zellkern von zentraler Bedeutung sein. Das Team um Hilbert untersucht nun, welche physikalischen Prinzipien der 3D-Organisation zugrunde liegen und wie sie den Zugang zu regulatorischen Faktoren steuert. Für ihre Arbeit experimentieren die Forschenden mit Wirbeltierzellen, nutzen hochauflösende Mikroskopie sowie Computersimulationen und physikalische Modellierungen.

Das KIT als ideale Umgebung dank interdisziplinärer Zusammenarbeit

Bei ihrer Arbeit profitiere die Forschungsgruppe vor allem vom interdisziplinären Umfeld am KIT, so Hilbert. Hinzu komme die Möglichkeit, genügend Zeit und Ressourcen für Grundlagenforschung zu erhalten, um sich mit biologischen Systemen auseinander zu setzen. Das KIT biete der Arbeitsgruppe die ideale Umgebung, um aus ihrer Forschung eine Technologie zu entwickeln und die Ergebnisse umzusetzen.

„Wir können hier sehr viele andere Forschungsdisziplinen einbinden und gleichzeitig auch bedienen. Das betrifft vor allem die Optik und Photonik, von dort bringt uns jedes neue Mikroskop, jede Anwendung die manipulieren kann, weiter. Bei den Experimenten ist die Zusammenarbeit mit der Biotechnologie entscheidend. Nicht zuletzt profitieren wir von den Instituten am KIT mit sehr fortgeschrittenen Datenanalysemöglichkeiten, Maschinellem Lernen und Künstlicher Intelligenz“, führt Hilbert aus. Auch die Möglichkeit, die Hochleistungsrechner des KIT nutzen zu können, sei unendlich wertvoll.

Hoffnung für die Krebstherapie?

Eine mögliche Anwendung der Forschungsergebnisse sieht der Wissenschaftler unter anderem bei der Behandlung von Krebs. „Es gibt Krebstherapien, bei denen die körpereigenen Immunzellen der Patientinnen und Patienten so programmiert werden, dass sie bestimmte Oberflächenproteine der Krebszellen erkennen und gezielt angreifen können.“ Derzeit werden mit großem Aufwand ein oder zwei Zielproteine in Zellen einprogrammiert. Mit einer intelligent programmierbaren Immuntherapie könnte es gelingen, dass in ein und derselben Immunzelle 100 Zielproteine gespeichert werden. Je nach Entwicklungsstadium des Tumors, könnte dieser damit dann bekämpft werden und wenn eine Resistenz entsteht, sogar auf ein neues Ziel umgeschaltet werden. „Mit den injizierten DNA-Microchips könnte man über die Blutabnahme einen Bericht erhalten, inwiefern der Tumor fortgeschritten ist und ob andere Medikament zugegeben werden sollten. Damit wäre eine programmierbare Therapie möglich, die einem so komplexen System wie einem sich entwickelnden Tumor gewachsen ist“, erklärt Hilbert.

Dass die Arbeit mit DNA auch ethische Fragen aufwirft, dessen sind sich die Forschenden bewusst. So sei die nicht ethisch autorisierte Modifikation des Erbguts von Kindern zurecht ein absolutes Tabu in der Genetik, meint Hilbert. Gleichzeitig gibt der Wissenschaftler zu bedenken, dass in Zukunft auch die Möglichkeit bestehen könnte, durch neue Techniken Erbkrankheiten zu unterbinden und den betroffenen Individuen ihr Schicksal zur erleichtern.

Heike Marburger, 16.12.2024

Im Vordergrund der Grafik befindet sich ein DNA-Strang, im Hintergrund ein Computerchip und Binärcode. Dominika Rogocka / modus-media.de
DNA-basierte Hardware, kann das funktionieren?
Professor Hilbert sitzt an einem Labortisch, auf dem ein Mikroskop steht. Amadeus Bramsiepe, KIT
Von der Natur lernen und damit die Grundlage für neue medizinische Anwendungen zu schaffen, ist das Ziel der Arbeitsgruppe rund um Lennart Hilbert.