Silizium gilt als Platzhirsch unter den Solarzell-Technologien. Doch schnell haben metallorganische Perowskit-Solarzellen aufgeholt und im Labor ebenfalls Wirkungsgrade von 25 Prozent erreicht, auch dank der Forschung des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). Ein multidisziplinäres Team von sechs Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des KIT hatte etwa Belege für ferroelektrische Mikrostrukturen gefunden und konnte damit die Eigenschaften moderner Perowskit-Solarzellen erklären. Für diese herausragende Leistung erhielt das Team gestern Abend den mit 50 000 Euro dotierten Erwin-Schrödinger-Preis der Helmholtz-Gemeinschaft und des Stifterverbandes.
„Für die Stromversorgung aus erneuerbaren Energien ist die Photovoltaik ein wichtiger Baustein mit hohem Potenzial in Forschung und Entwicklung – gerade mit Blick auf die eingesetzten Materialien“, sagt der Präsident des KIT, Professor Holger Hanselka. „Mit seiner Forschung, die die Felder Optoelektronik und keramische Werkstoffe erfolgreich kombiniert, liefert das Team des KIT entscheidende Beiträge zur Weiterentwicklung der Perowskit-Solarzellen. Mit solchen neuartigen Materialien in künftigen Solarzellen-Generationen kann Sonnenlicht noch effizienter in elektrischen Strom umgewandelt werden – und das mit einem Material, das technisch einfach zu verarbeiten und kostengünstig ist. Der Erwin-Schrödinger-Preis ist eine herausragende Auszeichnung dieser Leistung.“
Eine ausgeklügelte Charakterisierung auf der Nanoskala visualisiert mikroskopische elektrische Felder (ferroelektrische Domänen) in den Perowskit-Dünnschichten. (Bild: Alexander Colsmann, Holger Röhm, Tobias Leonhard, KIT)
Wie sähe die perfekte Solarzelle aus? Neben der schwarzen Oberfläche für eine optimale Absorption des Lichtes führt die perfekte Solarzelle die durch das Licht erzeugten Ladungsträger effizient aus dem Bauteil zu den Elektroden und minimiert so Rekombinationsverluste. Es gehen somit weniger Ladungsträger verloren. Dem Wissenschaftler-Team ist es gelungen, Expertise aus den Bereichen der Optoelektronik und der Keramischen Werkstoffe so zusammenzubringen, dass sie ein vertieftes Verständnis der Perowskit-Solarzellen ermöglichen. Das multidisziplinäres Team aus den Fächern Elektrotechnik, Materialwissenschaften und Physik hat nun im neuen Materialwissenschaftlichen Zentrum für Energiesysteme (MZE) des KIT den Nachweis erbracht, dass ein typischer Baustein von metallorganischen Perowskit-Solarzellen, Methylammonium-Bleiiodid (MAPbI3), ferroelektrisch ist: MAPbI3-Dünnschichten bilden spontan alternierende polare Domänen mit einer typischen Breite von 90 nm. „Die mikroskopischen elektrischen Felder in den Domänen können helfen, die photogenerierten Ladungsträger voneinander zu trennen und damit ihre Rekombination zu reduzieren“, sagt Holger Röhm, Doktorand am MZE. Gemeinsam mit Tobias Leonhard und Alexander D. Schulz hat Röhm die mikroskopischen elektrischen Felder des ferroelektrischen MAPbI3 und seine Mikrostruktur untersucht.
YouTube-Video: Erwin-Schrödinger-Preis 2019: Geheimnis der Perowskit-Solarzellen gelüftet
Unter dem Dach des MZE versammelte das Team Experten aus der Photovoltaik und den Materialwissenschaften, um die einzigartigen Eigenschaften der Perowskit-Solarzellen zu analysieren. „Es war faszinierend zu sehen, wie Solarzellen mit Methoden charakterisiert werden können, die bislang für die Analyse klassischer Keramiken eingesetzt wurden“, sagt Michael J. Hoffmann, Leiter des Institutes für keramische Werkstoffe und Technologien, der seit mehr als drei Jahrzehnten ferroelektrische Keramiken untersucht. Und tatsächlich kann die Ferroelektrizität als Schlüsseleigenschaft von Perowskit-Solarzellen ein neues Designkriterium für neuartige lichtabsorbierende Materialien in Solarzellen bieten.
Alexander Colsmann, Leiter der Forschungsgruppe Organische Photovoltaik, betont, dass „MAPbI3-Perowskit-Solarzellen bekanntlich instabil und ihre Zersetzungsprodukte wasserlöslich und umweltgefährdend sind“, was einen dringenden Bedarf an bleifreien Alternativen zeigt. Während in der Vergangenheit durch die schrittweisen Modifikationen der Kristallzusammensetzung keine bleifreien Alternativen zu MAPbI3 mit ausreichender Photovoltaikleistung entdeckt wurden, ist die in den Perowskit-Solarzellen beobachtete Ferroelektrizität ein vielversprechendes Muster für eine neue Klasse von potenziell stabileren und umweltfreundlicheren Solarzellen. „Es ist faszinierend zu sehen, wie zwei Forschungsbereiche miteinander verschmelzen, die in der Vergangenheit nichts gemeinsam hatten, aber die Zukunft der modernen Photovoltaik prägen können“, resümiert Susanne Wagner, Expertin des Teams für die Charakterisierung von Ferroelektrika und ihrer Mikrostruktur.
Das Materialwissenschaftliche Zentrum für Energiesysteme (MZE) wurde vor drei Jahren als disziplinübergreifende Plattform eingeweiht, um die Forschung des KIT zur Energieumwandlung und -speicherung zu stärken. Damit ist das MZE das ideale Umfeld, um die Forschung an neuartigen Photovoltaik-Konzepten voranzutreiben. Auf der wissenschaftlichen Grundlage, für die der Erwin-Schrödinger-Preis verliehen wurde, wird das Team künftig neue ferroelektrische Verbindungen für eine verbesserte Energiegewinnung erforschen, wobei der Schwerpunkt auf umweltfreundlichen und nachhaltigen Lösungen liegt.
Diese Herausforderung wird auch im Helmholtz-Forschungsprogramm verankert. Nach 15 Jahren Forschung auf dem Gebiet der organischen Photovoltaik ergänzt das KIT dieses Feld seit einiger Zeit mit umfangreichen Forschungsarbeiten zu Perowskit-Solarzellen und darüber. Der Erwin-Schrödinger-Preis unterstreicht die führende Position des KIT in der Materialforschung zur photovoltaischen Energieumwandlung.
Die Forschung wurde von der Baden-Württemberg-Stiftung im Auftrag CT-9, dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Auftrag 03EK3571 und der Helmholtz-Gemeinschaft im Rahmen des Programms Science and Technology of Nanosystems (STN) gefördert.
Wissenschaftliche Publikationen
T. Leonhard, A.D. Schulz, H. Röhm, S. Wagner, F. Altermann, W. Rheinheimer, M.J. Hoffmann, A. Colsmann, Energy Technology, 2019, 7, 1800989
H. Röhm, T. Leonhard, A.D. Schulz, S. Wagner, M.J. Hoffmann, A. Colsmann, Adv. Mater., 2019, 31, 1806661
H. Röhm, T. Leonhard, M.J. Hoffmann, A. Colsmann, Energy Environ. Sci. 2017, 10, 950-955
Ausführliche Bildunterschrift: Verleihung des Erwin-Schrödinger-Preises auf der Jahrestagung der Helmholtz-Gemeinschaft: (v. li. n. re.) Otmar Wiestler (Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft), Michael J. Hoffmann (Leiter des Instituts für keramische Werkstoffe und Technologien des KIT), Tobias Leonhard (Materialwissenschaftliches Zentrum für Energiesysteme, MZE, des KIT), Holger Röhm (MZE des KIT), Holger Hanselka (Präsident des KIT), Alexander Colsmann (Leiter Forschungsgruppe Organische Photovoltaik des KIT), Susanne Wagner (Institut für Angewandte Materialien - Keramische Werkstoffe und Technologien des KIT), Alexander D. Schulz (MZE des KIT), Kurt Bock (Vizepräsident des Stifterverbandes)
Als „Die Forschungsuniversität in der Helmholtz-Gemeinschaft“ schafft und vermittelt das KIT Wissen für Gesellschaft und Umwelt. Ziel ist es, zu den globalen Herausforderungen maßgebliche Beiträge in den Feldern Energie, Mobilität und Information zu leisten. Dazu arbeiten rund 10 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf einer breiten disziplinären Basis in Natur-, Ingenieur-, Wirtschafts- sowie Geistes- und Sozialwissenschaften zusammen. Seine 22 800 Studierenden bereitet das KIT durch ein forschungsorientiertes universitäres Studium auf verantwortungsvolle Aufgaben in Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft vor. Die Innovationstätigkeit am KIT schlägt die Brücke zwischen Erkenntnis und Anwendung zum gesellschaftlichen Nutzen, wirtschaftlichen Wohlstand und Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Das KIT ist eine der deutschen Exzellenzuniversitäten.