„Das wird unser Leben verändern“

Wie die Initiative „Chem4Quant“ den Weg für zukünftige Quantentechnologien ebnen will

Computer mit gigantischer Rechenleistung, Sensoren von höchster Empfindlichkeit, Kommunikation nach strengsten Sicherheitsstandards, Simulationen von bisher unerreichter Komplexität und Genauigkeit: Quantenphänomene versprechen eine ganz neue Generation von Technologien. Wie Forschende des KIT, der Universität Ulm und der Universität Stuttgart in ihrer gemeinsamen Initiative Chem4Quant hochpräzise Materialstrukturen für zukünftige Quantentechnologien aufbauen wollen, erklärt der Sprecher der Initiative, Professor Mario Ruben vom KIT.

lookKIT: Das KIT und seine Partner haben mit der Initiative Chem4Quant das Finale der Förderlinie „Exzellenzcluster“ in der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder erreicht. Welchen Ansatz verfolgen Sie?

Professor Mario Ruben: Wir gehen vom Kleinen zum Großen – von Atomen über Moleküle zu Materialien. Dieser Bottom-up-Ansatz kommt aus der Chemie und unterscheidet sich fundamental von den bisher in der Quantentechnologie verfolgten Top-down-Ansätzen. Er ermöglicht uns, atomgenaue Materialstrukturen herzustellen, ihre Quanteneigenschaften präzise zu planen und Quantenbits in elektrischen oder photonischen Bauteilen genau da zu positionieren, wo wir sie haben wollen – und das in mit einer Präzision unterhalb der Nanometerebene. Dieses hohe Maß an Kontrolle ist entscheidend dafür, dass Quantentechnologien letztendlich nutzbar gemacht werden können. Zusammenfassend gesagt: Chem4Quant kombiniert synthetische Chemie mit Quantenphysik.

Cover des Forschungsmagazins lookKIT zum Thema Grundlagenforschung. modus: medien + kommunikation gmbh
Grundlagenforschung

Die Ausgabe 2024/4 des Forschungsmagazins lookKIT widmet sich der Suche nach Erkenntnis.

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Welche Möglichkeiten würde die Förderung als Exzellenzcluster eröffnen?

Der Exzellenzcluster würde ab Januar 2026 für sieben Jahre mit hohen Beträgen gefördert. Mit den Universitäten Ulm und Stuttgart verfügen wir über erfahrene Partner, die bereits erfolgreich Quantensensoren entwickelt haben. Das Nutzbarmachen von Quantenphänomenen mithilfe von Quantentechnologien eröffnet einzigartige Chancen in vielen zukunftsträchtigen Bereichen wie Hochleistungsrechnen, Messtechnik, Bildgebung, Kommunikation, Medizin- und Umwelttechnik. Jetzt ist der passende Moment, diese Chancen für Forschung und Industrie am Standort Deutschland und besonders in Baden-Württemberg zu nutzen. Wir am KIT verfolgen als eine von wenigen Forschungseinrichtungen weltweit einen Bottom-up-Ansatz in den Quantenwissenschaften, und das schon seit rund 15 Jahren.

Was ist unter Quantenphänomenen zu verstehen?

Dieser Begriff bezieht sich auf Erscheinungen, die sich durch Theorien der klassischen Physik nicht erklären lassen. Dazu gehört beispielsweise der Welle-Teilchen-Dualismus: Objekte der Quantenphysik weisen Eigenschaften von klassischen Wellen und zugleich Eigenschaften von klassischen Teilchen auf. Ein anderes Beispiel: Quantenteilchen scheinen aufgrund ihres Wellencharakters an mehreren Orten gleichzeitig zu sein. Sind Quantenteilchen miteinander verschränkt, bleibt die Verschränkung auch bei räumlicher Trennung bestehen.

Diese Quantenphänomene sind höchst empfindlich und zerfallen durch Wechselwirkung mit der Umgebung leicht wieder. Um die Quanteneigenschaften nutzbar zu machen, müssen wir ihre kohärenten Zustände vor Einflüssen aus der Umgebung schützen. Meine Forschungsgruppe am Institut für QuantenMaterialien und Technologien des KIT entwickelt auf der Basis von Europium, das zu den Lanthaniden gehört, atomgenaue Materialstrukturen mit präzise einstellbaren Quanteneigenschaften. Da sich Europium mit Licht ansteuern lässt, können wir so optisch adressierbare Qubits verwirklichen.

Was ist ein Qubit?

Qubit steht für Quantenbit, die kleinste Recheneinheit eines Quantencomputers. Dank einer speziellen Quanteneigenschaft, der Quantensuperposition, kann es sich gleichzeitig in vielen verschiedenen Zuständen zwischen 0 und 1 befinden. Wir sprechen von Überlagerungszuständen. Daher können Quantencomputer Daten massiv parallel prozessieren und ihre Rechenleistung gegenüber digitalen Computern, die ja nur mit 0 und 1 rechnen, steigt exponentiell.

Welche weiteren Anwendungen, neben Quantencomputing, lassen sich mithilfe von Quantenphänomenen verwirklichen?

Quantensensoren mit Abmessungen im Nanometerbereich versprechen Fortschritte in der Umwelt- und der Materialtechnik. Sie funktionieren nach einem einfachen Prinzip: Wenn der empfindliche kohärente Zustand durch eine Interaktion mit der Umwelt zerfällt, hat der Sensor etwas detektiert. Eine weitere Anwendung ist die Quantenkommunikation: Sie nutzt Quanteneigenschaften, genauer gesagt verschränkte Photonen, zur Kryptografie. Sobald jemand versucht, die Informationen zu entschlüsseln, zerfällt die Verschränkung und die Kommunikation bricht ab. Wir testen diese Form der Kommunikation am KIT mit einem Glasfaserkabel zwischen dem Campus Nord und dem Campus Süd, das noch in diesem Jahr verlegt wird. Schließlich gibt es noch eine vierte Anwendung – die Quantensimulation. Sie setzt Quantensysteme ein, um die Eigenschaften von realen Materialsystemen zu erforschen. Wann genau alle diese Anwendungen marktreif entwickelt sein werden, lässt sich natürlich nicht vorhersagen.

Zum Abschluss eine persönliche Frage: Was motiviert Sie zur Forschung auf einem derart herausfordernden Gebiet?

Meine natürliche Neugier. Ich bin ausgebildeter Chemiker, finde es aber äußerst faszinierend, an der Schnittstelle zwischen Chemie und Physik zu arbeiten. Die ersten Quanteneffekte wurden vor mehr als 100 Jahren entdeckt. Das war die erste Quantenrevolution. Vor rund 20 Jahren begann die zweite Quantenrevolution: Wir versuchen nun, Quantenphänomene aktiv nutzbar zu machen, indem wir sie isolieren, kontrollieren und die im Quantensystem prozessierten Information auf die makroskopische Welt übertragen. Das wird unser Leben verändern. Daran teilzuhaben, begeistert mich und treibt mich immer wieder aufs Neue an.

Dr. Sibylle Orgeldinger, 19.02.2025

Portrait von Professor Ruben. Markus Breig, KIT
Professor Mario Ruben ist Sprecher der Initiative Chem4Quant und arbeitet daran, Quantenphänomene nutzbar zu machen.