Wie Pilze wachsen: Ein Movie aus dem Zellinneren
Als Schimmel auf Lebensmitteln können sie schaden, als Antibiotikalieferanten nützen: Pilze sind einerseits gefährliche Krankheitserreger, andererseits werden sie für die Produktion von Lebensmitteln, Arzneimitteln und in der Biotechnologie eingesetzt. In beiden Fällen ist es wichtig, ihren Wachstumsmechanismus genau zu verstehen. Wissenschaftler des Instituts für Angewandte Physik und des Instituts für Angewandte Biowissenschaften am KIT sind hier einen entscheidenden Schritt weitergekommen. Sie haben Schimmelpilzen mit Hilfe von Höchstleistungs-Lichtmikroskopie beim Wachsen live zugesehen und stellen die Ergebnisse in der Zeitschrift Science Advances vor.
Schimmelpilze sind wie die meisten Pilze Hyphenpilze. Sie bestehen aus fadenförmigen Zellen, den sogenannten Hyphen, die weitläufige Netzwerke, Myzelien, bilden können. Die etwas drei Mikrometer dicken Hyphen wachsen ausschließlich durch gerichteten Vortrieb ihrer Spitze und dies sehr schnell, nämlich rund 1,5 Millimeter pro Tag. Ein wichtiges Ziel der biologischen Grundlagenforschung ist es, dieses Wachstum auf der molekularen Ebene zu verstehen, denn sowohl bei den gesundheitsschädlichen Wirkungen als auch bei den Nutzanwendungen von Pilzen spielt das Wachstum der Hyphen eine wichtige Rolle.
Movies zeigen Materialtransport in der Pilzzelle
Für die Untersuchung haben die Wissenschaftler ein Schlüsselenzym, das für den Aufbau der chitinhaltigen Zellwand benötigt wird, mit einem fluoreszierenden Protein markiert und dieses in der lebenden Zelle mit Hilfe hochauflösender Mikroskopie (Nanoskopie) beobachtet. Durch Verwendung höchstempfindlicher Kameras im Mikroskop gelang es, das Wachstum der Spitze sowie den Transport einzelner Vesikel in schnellen Bildfolgen wie in kleinen Movies festzuhalten und so auch die Transportgeschwindigkeit der Vesikel präzise zu bestimmen. Die Bilder zeigen, wie Baumaterialien in winzigen Bläschen verpackt und von Transportvehikeln, den Motorproteinen, entlang von Faserstrukturen des Zellskeletts wie auf Schienen zur Zellspitze befördert werden. Motorproteine sind winzige Nanomotoren, die mit zwei ‚Füßchen‘ an die Faserstrukturen andocken und darauf entlang schreiten. Mit Hilfe gentechnisch veränderter Pilzen fanden die Wissenschaftler außerdem heraus, welche Motorproteine jeweils für die Transporte verantwortlich sind.
Erkenntnisse tragen dazu bei, pathogene Pilze zu bekämpfen
Aus den Beobachtungen ließ sich erstmals ein umfassendes Modell ableiten, das beschreibt, wie die schnell wachsende Hyphenspitze mit Baumaterial versorgt wird. Dies sei eine wichtige Etappe auf dem Weg zu einem vollständigen molekularen Verständnis gerichteter Zellwachstumsprozesse, so Professor Gerd Ulrich Nienhaus vom Institut für Angewandte Physik. „Die an Hyphenpilzen gewonnenen Erkenntnisse sind einerseits von genereller Bedeutung in der Biologie, da sie auch auf andere Zellen und Lebewesen übertragen werden können, andererseits eröffnen sie neue Möglichkeiten, Pilzwachstum gezielt zu beeinflussen, was zum Beispiel bei der Eindämmung von pathogenen Arten in der Medizin wichtig ist.“
Mehr Info:
advances.sciencemag.org/content/4/1/e1701798
Direkt zu den Videos:
advances.sciencemag.org/content/suppl/2018/01/22/4.1.e1701798.DC1
Zur Person: Der molekulare High-End-Zellbeobachter
Professor Gerd Ulrich Nienhaus gilt unter seinen Kollegen als „High-End-Lichtmikroskopiker“, und er bewegt sich zwischen den wissenschaftlichen Disziplinen. Der Biophysiker ist darauf spezialisiert, Vorgänge innerhalb von lebenden Zellen und Geweben mit lichtoptischen Methoden gezielt zu beobachten. Unter seinen Mikroskopen liegen Zellen von Modellorganismen wie Krallenfrösche oder Zebrafisch-Embryos, aber auch menschliche Zellkulturen. Ihm geht es darum, die Lebensprozesse auf der molekularen Ebene zu verstehen.
Das setzt neben Erfahrungen in modernster Optik und Photonik sowie der computergestützten Bildverarbeitung auch Verständnis für das Objekt unter der Linse voraus: „Um biomolekulare Prozesse gezielt sichtbar zu machen, muss ich mich auch mit den biologischen und chemischen Aspekten auskennen – nur dann kann ich meine Methoden erfolgreich anwenden“, sagt er. Er und sein Team entwickeln neue Verfahren der Höchstleistungs-Lichtmikroskopie, um Biomoleküle mit bestmöglicher räumlicher und zeitlicher Auflösung und höchster Empfindlichkeit zu visualisieren, aber vor allem auch quantitativ zu untersuchen. Er kann beispielsweise einer lebenden Pilzzelle nicht nur beim Wachsen zusehen, sondern auch bestimmen, wie viele der beteiligten Biomoleküle dabei transportiert werden und wie schnell sie sich bewegen. Das macht ihn zu einem gefragten Spezialisten: „Wenn es darum geht, Experimente an der Grenze des technisch machbaren durchzuführen, kommen die Biologen zu mir.“
rl, 05.02.2018