Energiewende: Weiter Weg zur Energiesicherheit

Forschende am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) arbeiten an Konzepten für eine stabile, wirtschaftliche und klimaschonende Energieversorgung in Deutschland

In einer von Krisen geprägten Welt rückt der Zusammenhang zwischen Energie- und Sicherheitspolitik in den Fokus. Erneuerbare Energien versprechen mehr Unabhängigkeit von rohstoffreichen Staaten und sind zentral, um die Energiewende zu bewältigen und damit die gesetzlich verankerten Klimaziele zu erreichen: sinkende CO2-Emissionen und Treibhausgasneutralität bis 2045.

Wo steht Deutschland beim Umbau der Energiesysteme? Am KIT beschäftigen sich Forschende mit technologischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aspekten der Energietransformation. „Ein Großteil der Energie in Deutschland stammt immer noch aus fossilen Quellen“, ordnet Professor Roland Dittmeyer ein. Der Leiter des Instituts für Mikroverfahrenstechnik des KIT forscht an sogenannten Power-to-X-Technologien: Verfahren zur Umwandlung von Strom, etwa aus Windkraft oder Photovoltaik, in andere Energieträger wie synthetische Kraftstoffe, Gase oder chemische Rohstoffe.

„Wenn wir von Energiesicherheit sprechen, geht es eben nicht nur um Strom. Der Stromsektor deckt derzeit nur etwa 20 Prozent unseres Endenergieverbrauchs ab. Die restlichen 80 Prozent sind überwiegend stoffliche Energieträger wie Mineralölprodukte, Erdgas, Biomasse und Kohle sowie etwas Fernwärme. Es liegt also noch viel Arbeit vor uns.“

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Freiheit

Die Ausgabe 2024/3 des Forschungsmagazins lookKIT widmet sich dem Thema des Wissenschaftsjahrs 2024.

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„Die ökonomischen Vorteile wurden scheinbar höher bewertet als die Versorgungssicherheit.“

Energieversorgung auf Importe angewiesen

Auch wenn ein Plus bei den erneuerbaren Energien Deutschland weniger importabhängig mache, werde es nicht ohne Einfuhren aus anderen Staaten gehen, sagt Wolf Fichtner, Professor für Energiewirtschaft am Institut für Industriebetriebslehre und Industrielle Produktion des KIT. „2023 haben wir zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder mehr Strom importiert als exportiert. Das könnte auch in den kommenden Jahren so sein, wobei der Stromimport aus dem europäischen Ausland erfolgt. Auch Wasserstoff und Wasserstoffderivate werden wir schon aus ökonomischen Gründen teilweise importieren. Deutschland allein wird nicht die Menge an Energie innerhalb der eigenen Grenzen bereitstellen, die wir benötigen“, so Fichtner.

Für ihn bedeute eine geopolitisch sichere Energieversorgung nicht völlige Unabhängigkeit. Entscheidend sei vielmehr, die Lieferquellen zu diversifizieren, also breiter aufzustellen, um nicht dieselben Fehler wie in der Vergangenheit zu begehen. „Wir haben uns stark auf russisches Pipelinegas verlassen, weil die ökonomischen Vorteile scheinbar höher bewertet wurden als die Versorgungssicherheit.“ Nun sei es wichtig, auf mehrere Lieferanten und Regionen zu setzen.

Fichtner rät dazu, bei der Gestaltung der künftigen Energieversorgung die unterschiedlichen Ebenen, die dabei eine Rolle spielen, besser auszubalancieren. „In der Energiewirtschaft sprechen wir vom energiewirtschaftlichen Viereck mit den Ecken Ökonomie, Ökologie, Versorgungssicherheit und gesellschaftliche Akzeptanz. Diese Dimensionen müssen wir bei Entscheidungen berücksichtigen und mit den dabei bestehenden Zielkonflikten umgehen.“

Power-to-X für Energiespeicherung und -importe

Technologisch gesehen könnten für Deutschland in der Zukunft große Power-to-X-Anlagen im Ausland für die Herstellung von Energieträgern wie Methanol, Ammoniak oder Wasserstoff eine wichtige Rolle spielen. Etwa in Regionen, wo Strom aus Windenergie besonders günstig ist, wie in Patagonien in Chile. Von dort könnten die Energieträger auch zu uns transportiert werden, erklärt Dittmeyer, der am KIT auch die Forschung im PtX-Lab, einem Teil des Energy Lab, Europas größter Forschungsinfrastruktur für erneuerbare Energieerzeugung und Speichermethoden, koordiniert

Hierzulande sei neben dem Netzausbau für eine landesweite Verfügbarkeit erneuerbarer Energien die Speicherung von Strom ein entscheidender Punkt. „Um den Anteil des Stroms aus erneuerbaren Quellen von heute im Durchschnitt mittlerweile etwa 50 Prozent weiter zu steigern, brauchen wir praxistaugliche Lösungen, um Schwankungen bei der Wind- und Sonnenenergie auszugleichen“, so Dittmeyer. Gefragt seien leistungsstarke Batterie- und Power-to-X-Technologien. Letztere können die erneuerbare Energie über längere Zeiträume, beispielsweise auch saisonal, speichern. „Dazu braucht man dann allerdings auch flexible Kraftwerke, die diese gespeicherten Energieträger bei Bedarf wieder in Strom umwandeln.“

Gaskraftwerke als Back-up

Aufgrund des geplanten Kohleausstiegs brauche man zusätzliche gesicherte Leistung, aktuell wohl in Form von Gaskraftwerken, betont Fichtner. „Unsere Analysen zeigen, dass es für eine zu jedem Zeitpunkt stabile Versorgung wirklich notwendig ist, hier schon bis 2030 gesicherte Kapazitäten aufzubauen.“ Das Problem sei die Refinanzierung der Anlagen, da diese gegebenenfalls nur wenige Stunden in Betrieb sind. Eine mögliche Lösung: Ein sogenannter Kapazitätsmarkt, der Betreibern nicht nur für die eingespeiste Strommenge, sondern auch für die vorgehaltene Leistung Einnahmen verschafft. An entsprechenden Konzepten arbeite derzeit das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz.

Als weitere wichtige Pfeiler eines stabilen und nachhaltigeren Energiesystems nennt Fichtner eine deutlich höhere Energieeffizienz und -einsparung in allen Sektoren: „Was wir nicht verbrauchen, müssen wir nicht erzeugen, nicht importieren und macht keine Emissionen. Das wird in der Diskussion oft etwas vernachlässigt.“

Die Energiewende funktioniert nur miteinander

Die Politik sieht der Experte für Energiewirtschaft in der Pflicht, verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen, etwa einen wirkungsvollen Emissionshandel. „Diese Transformation gelingt nur in internationaler Zusammenarbeit. Es geht nicht mit nationalen Alleingängen. Und wir müssen die gesamte Gesellschaft miteinbeziehen, technologieoffen sein und uns beim Bezug und der Bereitstellung von Energie breiter aufstellen.“

„Das Thema geht uns alle etwas an“, sagt Dittmeyer. „Wir müssen anerkennen, dass der Klimawandel ein Fakt ist und dass es wegen der zu befürchtenden Folgekosten auf mittlere und lange Sicht viel günstiger ist, das Energiesystem jetzt umzubauen – auch, wenn die Kosten dafür im Vergleich zu früher höher sein werden.“

Christoph Karcher, 08.11.2024

Portraitfotos der beiden Forscher Roland Dittmeyer und Wolf Fichtner. Markus Breig/Sandra Göttisheim, KIT
Roland Dittmeyer (l.) und Wolf Fichtner skizzieren, welche Herausforderungen und Hürden auf dem Weg zu einer nachhaltigen und sicheren Energieversorgung vor Deutschland liegen.
Luftaufnahme, die eine Grünfläche mit vielen Solarpanelen zeigt. Daneben, am Bildrand, befinden sich Gebäude und Anlagen des Energy Lab. Markus Breig, KIT
Der Solarpark ist Teil Energy Lab, der europaweit größten Forschungsinfrastruktur für erneuerbare Energien und Speichermethoden am Campus Nord des KIT.
Eine aus drei blauen Containern bestehende Anlage. Durch die geöffneten Türen sind Rohre und Ventile zu erkennen. Ein Mann arbeitet in der Anlage, einer davor. Markus Breig, KIT
In der Methanisierungsanlage des Energy Lab werden „grüner“ Wasserstoff und Kohlendioxid aus der Luft in Methan umgewandelt, um beispielsweise als Erdgassubstitut zu dienen.