Prostatakrebs ist in der westlichen Welt die häufigste bösartige Tumorerkrankung beim Mann. Um deren Entstehung und Verlauf besser untersuchen zu können, entwickelt Dr. Friederike J. Gruhl am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) ein dreidimensionales Modell der Prostata: Ziel ist, damit die natürlichen Prozesse im Reagenzglas (in vitro) nachbilden zu können. Langfristig soll das in vitro-Modell Tierversuche in der Prostatakrebs-Forschung vollständig ersetzen. Das Land Baden-Württemberg fördert das Projekt mit 200.000 Euro.
In Deutschland, so die Deutsche Krebshilfe, erkranken jährlich 67.600 Männer neu an einem bösartigen Tumor der Vorsteherdrüse (Prostatakarzinom), etwa 12.700 pro Jahr sterben daran. Die klinische Forschung beschäftigt sich vor allem mit dem Verlauf der Krankheit, der sich in bestimmten Blutwerten widerspiegelt (prognostische Marker, z. B. prostataspezifisches Antigen, PSA). Die Mechanismen beim normalen, gesunden Prostatawachstum sowie bei einer Krebserkrankung sind vergleichsweise wenig untersucht. „Eine wesentliche Aufgabe der Grundlagenforschung ist daher, den Verlauf von der Auslösung der Krankheit bis hin zur Bildung von Metastasen besser zu verstehen, um frühzeitig eingreifen zu können“, sagt Dr. Friederike J. Gruhl vom Institut für Mikrostrukturtechnik (IMT). „Dazu zählt insbesondere das Verständnis der Interaktion der Krebszellen mit ihrer Umgebung.“
Ziel ihres Forschungsvorhabens sind der Aufbau und vor allem die Anwendung eines biomimetischen Systems: „Biomimetisch heißt, dass wir in dem Modell der Prostata die tatsächlichen Bedingungen im Menschen so detailreich wie möglich in vitro, also im Reagenzglas, nachbilden“, so Gruhl. Materialgrundlage für das Modell sind Hydrogele aus künstlichen und natürlichen Molekülketten (Polymeren), zwischen denen Wasser (griechisch ‚Hydro‘) eingeschlossen ist. Sie lassen sich zu dreidimensionalen Strukturen aufbauen, deren mechanische Eigenschaften dem von Zellgewebe sehr ähnlich sind. Das von Friederike J. Gruhl entwickelte Modell soll künftig als Analyseplattform für die zellbiologische Krebsforschung dienen, insbesondere zur Untersuchung der molekularen Regulationsmechanismen bei der Tumorentwicklung. Da es schwierig ist, primäre, also aus dem menschlichen Organismus entnommene, Prostatazellen dauerhaft zu kultivieren, greift die Forschung bislang auf Tiermodelle zurück. Langfristig soll das in vitro-Modell diese Tierversuche in der Erforschung des Prostatakarzinoms ersetzen. Die Ministerien für ländlichen Raum und Verbraucherschutz sowie für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden-Württemberg fördern das Vorhaben mit 200.000 Euro im Programm „Entwicklung von Alternativmethoden zur Vermeidung von Tierversuchen“.
Das Prostata-Modell soll es ermöglichen, sowohl gesunde Zellen des Drüsengewebes (Epithelzellen) zu kultivieren als auch solche, die Krebs hervorrufen können. Bei der Entwicklung bezieht Friederike J. Gruhl auch die natürliche Zellumgebung ein: Dazu gehört unter anderem das Gewebe zwischen den Zellen (extrazelluläre Matrix) – einschließlich seiner biochemischen Funktionen und Eigenschaften. „Die zentrale Herausforderung dabei ist also, die Vorteile der kontrollierbaren chemischen Eigenschaften von Hydrogelen mit den Vorteilen der natürlich gebildeten extrazellulären Matrix in einem System zu kombinieren“, erläutert Gruhl.
Bei der Herstellung des Hydrogels, so die Wissenschaftlerin, sei zur Versorgung der Zellen mit Nährstoffen und Sauerstoff unter anderem wichtig, dass das Material schwammartig, gleichzeitig aber homogen sei. Auch dürfe es keine giftigen Stoffe abgeben. Friederike J. Gruhl hat hierfür unterschiedliche Hydrogele hergestellt und auf Porengröße und -verteilung, Formbarkeit und Schwellverhalten untersucht. „Für ein biomimetisches Prostata-Modell benötigen wir eine große Bandbreite an Gelen, die sich in ihren Eigenschaften unterscheiden und damit unterschiedliche Funktionen innerhalb des Modells erfüllen können“, so die Wissenschaftlerin.
Derzeit arbeitet sie an der Charakterisierung der Gele. Danach folgt der Aufbau verschiedener Hydrogel-Zell-Strukuren. „Dann wird es auch darum gehen, die Auswirkungen veränderbarer Rahmenbedingungen zu ermitteln, wie die Anwesenheit verschiedener Zelltypen, die Steifigkeit und Dichte der Umgebung sowie die biochemische Zusammensetzung der löslichen und in die extrazelluläre Matrix eingebauten Faktoren“, sagt Gruhl. In drei Jahren soll das Projekt so weit sein, dass das biomimetische Modell in der Forschung eingesetzt werden kann. Als weitere Perspektive für die Zukunft sieht Gruhl die Möglichkeit, dass das Modell auch bei der Medikamentenentwicklung in der Pharmaindustrie unterstützt.
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