Presseinformation 136/2013

Punktgenaue Andockstellen für Zellen

„Designer Petrischalen“ lassen sich gezielt verändern – Oberflächen und dreidimensionale Gerüste werden photochemisch modifiziert
Rot und Grün eingefärbt sind die verschiedenen biologisch aktiven Oberflächen in der Fluoreszenzmikroskopaufnahme der neuartigen „Petrischale“. (Bild: KIT/B. Richter)
Rot und Grün eingefärbt sind die verschiedenen biologisch aktiven Oberflächen in der Fluoreszenzmikroskopaufnahme der neuartigen „Petrischale“. (Bild: KIT/B. Richter)

Die Petrischale ist im biologischen Labor der Klassiker, aber bietet für viele Zelltypen nicht den idealen Lebensraum. Untersuchungen verlieren dadurch an Aussagekraft, da sich Zellen auf einer flachen Plastikfläche anders verhalten als etwa im verästelten Lungengewebe. Forscher des Karlsruher Instituts für Technologie haben nun Verfahren vorgestellt, um dreidimensionale Strukturen gezielt für bestimmte Zelltypen je nach Bedarf attraktiv oder abstoßend zu machen. (DOI: 10.1002/adma.201302492 und 201302678)

 

„Wir können nun schnell und präzise die ideale Petrischale für einzelne Zellen bauen“, erläutert Barner-Kowollik. Sein und Martin Bastmeyers Team von Chemikern und Biologen am KIT entwickelten das neue photochemische Verfahren der Oberflächenkodierungen. Es erlaubt präzise Modifikation von dreidimensionalen Mikrogerüsten. „Die maßgeschneiderte Strukturierung von Haftpunkten für Zellen ermöglicht es, das Verhalten einzelner Zellen in einer realitätsnahen Umgebung zu untersuchen“, erklärt Bastmeyer.

 

Dabei ähnelt die „Petrischale“ mittlerweile einem Miniatur-Seilgarten von maximal einem fünfzigstel Millimeter Größe. Zellen lassen sich dort isoliert zwischen den Traversen aufhängen und ohne störende Einflüsse beobachten. Durch die passende Beschichtung von Traversen und Masten werden die Zellen am gewünschten Platz gehalten und gegebenfalls Wachstumsimpulse gesetzt. „Wir können so beispielweise die Bewegung und Kraft einzelner Zellen untersuchen“, so Bastmeyer.

 

Zur Konstruktion und Beschichtung der Petrischale mit nanometergenauer Auflösung nutzen die Zell-Forscher und Polymerchemiker ein direktes Laser-Schreibverfahren aus der Nanooptik, das am KIT in der Arbeitsgruppe von Martin Wegener entwickelt wurde. Das dreidimensionale Gerüst entsteht an den Stellen, an denen sich zwei Laserstrahlen in einem Photolack kreuzen und damit den Lack aushärten. Für die Beschichtung des Gerüstes werden von dem Team um Barner-Kowollik und Martin Bastmeyer verschieden bioaktive Moleküle genutzt, die um eine photoaktive Gruppe ergänzt wurden: Nur an die Stellen der Petrischale, die der Laserstrahl beleuchtet, wird die Kopplung aktiviert und die bioaktiven Moleküle binden sich chemisch fest an die Oberfläche. Die physikochemischen Oberflächeneigenschaften und damit Parameter wie Flexibilität oder die dreidimensionale Anordnung von Zellhaftpunkten können durch die modernen photochemischen Verfahren nach Wunsch und mit einer hohen örtlichen Auflösung verändert werden.

 

In sechs aktuellen Veröffentlichungen in den führenden Fachmagazinen Angewandte Chemie, Chemical Science und Advanced Materials stellt das Team einen ganzen Werkzeugkasten an photochemischen Oberflächenkodierungsverfahren vor. Dieser ermöglicht es, chemische Bindungen örtlich kontrolliert und effizient zu knüpfen, ohne dass Katalysatoren oder erhöhte Temperaturen notwendig werden. Je nach Anwendungsfall lassen sich weitere Vorteile realisieren, etwa Maximierung der Kupplungseffizienz, eine Beschleunigung der Photoreaktion, eine direkte Kupplung mit unmodifizierten Biomarkern, eine Reduzierung der chemischen Synthesearbeit sowie die Ausweisung von Bereichen, an denen keine Zellanhaftung stattfinden kann.

 

Referenzen:

[1] Pauloehrl, T.; Delaittre, G.; Winkler, M.; Welle, A.; Bruns, M.; Börner, H. G.; Greiner, A. M.; Bastmeyer, M.; Barner-Kowollik, C. Angew. Chem., Int. Ed. 2012, 51, 1071–1074.

[2] Pauloehrl, T.; Delaittre, G.; Bruns M.; Meißler M.; Börner, H. G.; Bastmeyer, M.; Barner-Kowollik, C. Angew. Chem., Int. Ed. 2012, 51, 9181–9184.

[3] Pauloehrl, T.; Welle, A; Bruns, M.; Linkert, K.; Börner, H. G.; Bastmeyer, M.; Delaittre, G.; Barner-Kowollik, C. Angew. Chem., Int. Ed. 2013, 52, 9714 –9718.

[4] Pauloehrl, T.; Welle, A.; Oehlenschlaeger, K. K.; Barner-Kowollik, C. Chem. Sci. 2013, 4, 3503–3507.

[5] Richter, B.; Pauloehrl, T.; Kaschke, J.; Fichtner, D.; Fischer, J.; Greiner, A. M.; Wedlich, D.; Wegener, M.; Delaittre, G.; Barner-Kowollik, C.; Bastmeyer, M. Adv. Mater. 2013, doi:10.1002/adma.201302678.

[6] Rodriguez-Emmenegger, C.; Preuss, C. M.; Yameen, B.; Pop-Georgievski, O.; Bachmann, M.; Mueller, J. O.; Bruns, M.; Goldmann, A. S.; Bastmeyer, M.; Barner-Kowollik, C. Adv. Mat. 2013, DOI: 10.1002/adma.201302492.

 

Als „Die Forschungsuniversität in der Helmholtz-Gemeinschaft“ schafft und vermittelt das KIT Wissen für Gesellschaft und Umwelt. Ziel ist es, zu den globalen Herausforderungen maßgebliche Beiträge in den Feldern Energie, Mobilität und Information zu leisten. Dazu arbeiten rund 10 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf einer breiten disziplinären Basis in Natur-, Ingenieur-, Wirtschafts- sowie Geistes- und Sozialwissenschaften zusammen. Seine 22 800 Studierenden bereitet das KIT durch ein forschungsorientiertes universitäres Studium auf verantwortungsvolle Aufgaben in Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft vor. Die Innovationstätigkeit am KIT schlägt die Brücke zwischen Erkenntnis und Anwendung zum gesellschaftlichen Nutzen, wirtschaftlichen Wohlstand und Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Das KIT ist eine der deutschen Exzellenzuniversitäten.

kes, 30.10.2013
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