Presseinformation 032/2014

3-D-Röntgenkino: schnelle Bewegungen in Echtzeit

Interdisziplinäres Forscherteam am KIT stellt neuen Rekord für Hochgeschwindigkeits-Computertomografie auf / Beispiel 4-D-Tomografie des Kornkäfers / Veröffentlichung in PNAS
Auf dem 3-D-Röntgenbild sind die Hüftgelenke des Kornkäfers sichtbar, wie sie beim Klettern genau ineinandergreifen, zeigt nur ein 3-D-Röntgenfilm. (Aufnahme: dos Santos Rolo et al., PNAS, 2014)
Auf dem 3-D-Röntgenbild sind die Hüftgelenke des Kornkäfers sichtbar, wie sie beim Klettern genau ineinandergreifen, zeigt nur ein 3-D-Röntgenfilm. (Aufnahme: dos Santos Rolo et al., PNAS, 2014)

Wie bewegt sich das Hüftgelenk eines krabbelnden Kornkäfers? Ein Verfahren zur Aufnahme von 3-D-Röntgenfilmen, welches die innere Bewegungsdynamik räumlich präzise und gleichzeitig in der zeitlichen Dimension abbildet, haben Forscher an der Synchrotronstrahlungsquelle ANKA des KIT entwickelt und am lebenden Kornkäfer veranschaulicht: Aus bis zu 100.000 zweidimensionalen Röntgenaufnahmen pro Sekunde können sie ganze 3-D-Filmsequenzen in Echtzeit oder in Zeitlupe erstellen. Ihre Ergebnisse haben sie im Fachmagazin Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) veröffentlicht. DOI: 10.1073/pnas.1308650111 

 

 

Dreidimensionale Röntgenaufnahmen bilden innere Strukturen ab, verraten aber nichts über Bewegungsabläufe. Konventionelle Computertomografie ist nicht leistungsfähig genug, um Bewegungen räumlich präzise und gleichzeitig in der zeitlichen Dimension abzubilden. Jedes einzelne dreidimensionale Bild, ein sogenanntes Tomogramm, wird aus Hunderten zweidimensionaler Röntgenaufnahmen rekonstruiert. „Um mit einer derartigen Aufnahmegeschwindigkeit hoch aufgelöste Tomogramme zu produzieren, mussten wir an jeder verfügbaren Stellschraube von der Röntgenquelle bis zum Pixeldetektor drehen und alle Prozessschritte optimal aufeinander abstimmen“, sagt Tomy dos Santos Rolo, der als Doktorand den experimentellen Aufbau maßgeblich entwickelt hat. Indem er die 3-D-Bildfrequenzen den von 2-D-Kinofilmen bekannten Bildraten annäherte, gelang ihm der Weltrekord in Hochgeschwindigkeitstomografie – als echtes 3-D-Kino mit mikroskopischer Vergrößerung.

 

 

Für die wissenschaftliche Auswertung ist es wesentlich, dass sich die dreidimensionalen Umrisse der anatomischen Strukturen klar abzeichnen. Das wird durch den sogenannten Phasenkontrast ermöglicht: Durchleuchten hochparallele Röntgenstrahlen das biologische Untersuchungsobjekt, kommt es zu wellenoptischen Phänomenen, die zu einer deutlichen Betonung der inneren und äußeren Konturen führen.

 

 

Beim Hüftgelenk des Kornkäfers bewegen sich großflächige Skelettteile aufeinander und greifen dabei wie Schraube und Mutter ineinander. (Abbildung: dos Santos Rolo et al., PNAS, 2014)

 

 

„Auf genau diese Umrisse kommt es uns an. Wir wollen einzelne funktionale Elemente unterscheiden, die sich bei Bewegungen gegeneinander verschieben. Dafür sind wir in erster Linie auf scharfe Konturen angewiesen“, so Alexey Ershov, der Experte für Bildanalyse im Team. Von der Röntgenquelle bis zur fertigen Bewegungsanalyse sind daher alle Prozessstufen auch darauf ausgelegt, Bildrauschen herauszufiltern, ohne die Kontraste zu entschärfen. Das gilt genauso hinsichtlich der für die Röntgendurchstrahlung optimierten mathematischen Algorithmen, die drei räumliche sowie eine zeitliche Dimension rekonstruieren und aus den Daten exakte Bewegungsmuster ableiten.

 

 

In Anlehnung an die ersten Bewegtbilder – die Cinematografie – nennen die Wissenschaftler ihr Verfahren „Cinetomografie“. Im ausgehenden 19. Jahrhundert standen die Bewegungen von Großtieren im Fokus. Heute können Forscher die inneren biologischen Prozesse von Kleinorganismen analysieren, wie sie am kürzlich entdeckten Schraubengelenk des Kornkäfers demonstrieren. Insekten, Spinnen und Krebstiere machen über 80 Prozent aller Tierarten aus.

 

 

Die Cinetomografie bildet aber nicht nur biologische oder biotechnologische Vorgänge vierdimensional ab, sondern beispielsweise auch für die Industrie relevante Verbrennungsprozesse.

 

 

Tomy dos Santos Rolo, Alexey Ershov, Thomas van de Kamp, and Tilo Baumbach: In vivo X-ray cine-tomography for tracking morphological dynamics, PNAS Early Edition (2014), DOI: 10.1073/pnas.1308650111

 

 

 

Als „Die Forschungsuniversität in der Helmholtz-Gemeinschaft“ schafft und vermittelt das KIT Wissen für Gesellschaft und Umwelt. Ziel ist es, zu den globalen Herausforderungen maßgebliche Beiträge in den Feldern Energie, Mobilität und Information zu leisten. Dazu arbeiten rund 10 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf einer breiten disziplinären Basis in Natur-, Ingenieur-, Wirtschafts- sowie Geistes- und Sozialwissenschaften zusammen. Seine 22 800 Studierenden bereitet das KIT durch ein forschungsorientiertes universitäres Studium auf verantwortungsvolle Aufgaben in Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft vor. Die Innovationstätigkeit am KIT schlägt die Brücke zwischen Erkenntnis und Anwendung zum gesellschaftlichen Nutzen, wirtschaftlichen Wohlstand und Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Das KIT ist eine der deutschen Exzellenzuniversitäten.

lcp, 05.03.2014
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