Ingenieure entwickeln Technik. Soziologen und Philosophen gehen Mensch und Gesellschaft auf den Grund. Diese strikte Trennung in Disziplinen gehört der Vergangenheit an. Nichttechnische Perspektiven auf Technologien und ihre Wechselwirkungen mit Mensch und Gesellschaft gewinnen an Bedeutung. Eine Vorreiterrolle auf dem Gebiet übernimmt am KIT das Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS). Es sieht seine zentrale Aufgabe in der Erforschung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts mit dem Ziel der Beratung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Zur Feier seines 20-jährigen Bestehens treffen sich die Mitglieder des Netzwerks TA (NTA) am 26. und 27. November in Karlsruhe.
Wie können Bürgerinnen und Bürger an der Ausgestaltung der Energiewende partizipieren oder ihren Stadtteil gemeinsam mit Forschenden nachhaltiger gestalten? Welche Governance-Methoden schaffen Transparenz und Verständnis bei der Suche nach Endlagern für atomare Abfallstoffe? Wie kann die künftige Zusammenarbeit zwischen Robotern und Menschen in der Fabrik der Zukunft aussehen? Ist die Energiegewinnung aus Algen auch über den gesamten Lebenszyklus der Anlagen nachhaltig? Und was macht Angebote zur Onlinebeteiligung an der Parlamentsarbeit attraktiv? Diesen und vielen weiteren Zukunftsfragen geht das ITAS auf den Grund – in interdisziplinären Teams, unter anderem aus Philosophen, Ingenieuren, Soziologen, Ökonomen oder Naturwissenschaftlern. „Wir beschäftigen uns mit einer großen thematischen Bandbreite“, sagt Armin Grunwald, der das Institut seit 1999 leitet. „Allen Projekten gemein ist jedoch der Systemblick, das Denken in Alternativen, die reflexive Befassung mit möglichen Zukünften und die Einbeziehung unterschiedlicher Perspektiven in Beratungs- und Bewertungsprozesse.“
Das ITAS ging im Jahr 1995 aus der Abteilung für Angewandte Systemanalyse (AFAS) im Forschungszentrum Karlsruhe hervor und ist heute Teil des KIT. Das anfangs von Herbert Paschen geleitete Institut konnte seine Größe – die Mitarbeiterzahl hat sich von 35 auf heute rund 120 mehr als verdreifacht – und Sichtbarkeit seither beständig steigern und hat seinen Forschungsgegenstand aus der Nische geführt. So ist das Institut heute an über zehn EU-Projekten beteiligt und unterhält enge Beziehungen zu einer Vielzahl von internationalen Kooperationspartnern von China über die USA bis nach Lateinamerika. Mit der Zeitschrift Technikfolgenabschätzung Theorie und Praxis (TATuP) gibt das ITAS eine für die TA-Community zentrale Publikation heraus. In der Helmholtz-Gemeinschaft stellt es mit seinem Leiter Armin Grunwald seit 2009 den Sprecher des Programms „Technologie, Innovation und Gesellschaft“ (TIG) – die Voraussetzung, um 2012 mit der Helmholtz-Allianz ENERGY-TRANS das bislang größte Drittmittelprojekt zu übernehmen: An ENERGY-TRANS beteiligen sich alle vier Forschungsbereiche des Instituts, um gesellschaftliche Anforderungen an die Transformation unseres Energiesystems zu untersuchen.
Beflügelt durch Möglichkeiten am KIT
„Die System- und Technikfolgenperspektive ist aufgrund ihrer thematischen Vielfalt grundsätzlich an engen Kooperationen interessiert“, so Grunwald. „Die Gründung des KIT war für uns daher ein Glücksfall, der unsere Arbeit bis heute beflügelt.“ Das ITAS kann so einerseits vor Ort technische Innovationen in frühen Konzeptions- und Entwicklungsstadien begleiten – etwa die Entwicklung der bioliq-Anlage, in der am Campus Nord in großtechnischem Maßstab aus Stroh und Waldrestholz Treibstoffe der zweiten Generation gewonnen werden, oder bei der Entwicklung von CO2-sparsamem Zement, der im Rahmen des Celitement-Projektes von Beginn an durch Systemanalyse und Innovationsforschung am ITAS begleitet wurde. Andererseits profitiert das Institut, eingebunden in die Lehre am Campus Süd, vom wissenschaftlichen Nachwuchs. Seit das Institut 2012 seinen neuen Sitz in der Karlsruher Innenstadt bezogen hat, können auch Bürgerinnen und Bürger enger in die Forschungsaktivitäten des ITAS einbezogen werden, etwa über die neue Veranstaltungsreihe „technik.kontrovers“.
Wissenschaftliche Politikberatung in Deutschland und Europa
„Zur Verantwortung der Wissenschaft gehört es aus unserer Sicht, reflektiert und wissensbasiert Beratungsleistungen zu erbringen, vor allem auch für die Politik“, erklärt Grunwald. So konnte bereits 1990 mit dem Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) ein wichtiges Aushängeschild des ITAS etabliert werden. Das TAB berät seither als selbstständige wissenschaftliche Einrichtung den Bundestag und seine Ausschüsse in Fragen des wissenschaftlich-technischen Wandels mit dem Ziel, die Parlamentarier über alternative Handlungsoptionen zu informieren. Diese nationalen Aktivitäten setzen sich auf europäischer Ebene fort: Seit 2005 berät die vom ITAS koordinierte „European Technology Assessment Group“ (ETAG) das Europäische Parlament in Fragen der sozialen, ökonomischen und ökologischen Bedeutung neuer wissenschaftlich-technischer Entwicklungen.
NTA-Jahrestreffen
Die Mitglieder des deutschsprachigen Netzwerks TA (NTA) treffen sich anlässlich des 20-jährigen Bestehens des ITAS am 26. November 2015 in den Räumen des ITAS in Karlsruhe (Karlstraße 11). Nach einem Workshop zu den „Institutionellen Settings“ der im Netzwerk vereinten TA-Einrichtungen findet ein Abendempfang statt. Am nächsten Tag, dem 27. November 2015, fokussiert der internationale Workshop „Technology and Work from a TA Perspective“ ein Forschungsthema, das derzeit in verschiedenen NTA-Mitgliedsinstitutionen bearbeitet wird.
Vertreterinnen und Vertreter der Presse sind herzlich zu den Veranstaltungen eingeladen. Weitere Details zum Programm sowie das Anmeldeformular finden Sie online: http://www.itas.kit.edu/veranstaltungen_2015_nta-jahrestreffen
Als „Die Forschungsuniversität in der Helmholtz-Gemeinschaft“ schafft und vermittelt das KIT Wissen für Gesellschaft und Umwelt. Ziel ist es, zu den globalen Herausforderungen maßgebliche Beiträge in den Feldern Energie, Mobilität und Information zu leisten. Dazu arbeiten rund 10 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf einer breiten disziplinären Basis in Natur-, Ingenieur-, Wirtschafts- sowie Geistes- und Sozialwissenschaften zusammen. Seine 22 800 Studierenden bereitet das KIT durch ein forschungsorientiertes universitäres Studium auf verantwortungsvolle Aufgaben in Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft vor. Die Innovationstätigkeit am KIT schlägt die Brücke zwischen Erkenntnis und Anwendung zum gesellschaftlichen Nutzen, wirtschaftlichen Wohlstand und Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Das KIT ist eine der deutschen Exzellenzuniversitäten.