Presseinformation 155/2016

Technikkommunikation: Besorgnis durch Aufklärung?

Forscher untersuchen die Wirkung von Vorsorgetipps an Techniknutzer / Studienbeispiel war strahlenreduzierendes Verhalten beim Telefonieren mit dem Handy
Die subjektive Wahrnehmung der Gefahr durch die Strahlung des eigenen Handys kann sich durch mehr Aufklärung und Vorsorgekommunikation erhöhen. (Bild: KIT)
Die subjektive Wahrnehmung der Gefahr durch die Strahlung des eigenen Handys kann sich durch mehr Aufklärung und Vorsorgekommunikation erhöhen. (Bild: KIT)

In demokratischen Gesellschaften gilt es als Pflicht, dass Forscher und Politiker die Öffentlichkeit über moderne Technologien und deren mögliche Risiken aufklären. Forscher des KIT und der University of Wollongong in Australien zeigten nun, dass Aufklärung über Techniken und deren Risiken unerwünschte Nebeneffekte haben kann. Sie kann auch dort zu Besorgnis führen, wo diese kaum angebracht scheint, wie sie nun im Fachjournal International Journal of Environmental Research and Public Health berichten. DOI:10.3390/ijerph13100992

 

„Technische Innovationen dominieren heutzutage unseren Alltag an vielen Stellen. Neue Techniken bergen jedoch immer auch Risiken – und diese werden von Laien auch gesehen“, so Christoph Böhmert vom KIT, Erstautor der aktuell erschienenen Studie und Forscher in der Abteilung Wissenschaftskommunikation am Institut für Germanistik des KIT. „Es geht darum eine adäquate Kommunikation zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu ermöglichen, die nicht nur die wissenschaftliche Befundlage, sondern auch die Bedenken in der Bevölkerung berücksichtigt.“ Dass die Verständigung über Risiken mitunter kompliziert sein kann, wurde in der aktuellen Studie klar: Aufklärung über Möglichkeiten zu effizienter Vorsorge führte hier dazu, dass sich die Risikowahrnehmung der Empfänger der Information erhöhte.

 

In ihrer Studie untersuchten die Forscher die Kommunikation über eine Technik, die aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken ist – den Mobilfunk und die ihm zugrundeliegenden elektromagnetischen Felder. Weltweit kommunizieren Einrichtungen für Strahlenschutz - wie zum Beispiel das deutsche Bundesamt für Strahlenschutz - den Stand der derzeitigen Forschung zu Risiken der elektromagnetischen Felder nach folgendem Muster: Bisher durchgeführte Untersuchungen ließen, betrachtet man die Gesamtschau aller Ergebnisse, keinen Schluss auf eine Gefahr für die Gesundheit durch den Mobilfunk zu. Jedoch, so weiter, gäbe es noch Wissenslücken, etwa bezüglich der Langzeitwirkung. Auf dieser Grundlage werden dann Maßnahmen empfohlen, die das Ausmaß, in dem der Einzelne den Feldern ausgesetzt ist, verringern. Das Bundesamt für Strahlenschutz empfiehlt beispielsweise, Telefonate kurz zu halten, ein Handy mit einem niedrigen Strahlungswert zu kaufen oder ein Headset zu benutzen, damit das Handy beim Telefonieren nicht direkt am Kopf ist.

 

Dass Informationen zur Vorsorge zu einer höheren Besorgnis führen können, war schon aus mehreren Vorgängerstudien bekannt. Vermutet wurde der Effekt, dass Menschen aus der Empfehlung, Vorsorge zu betreiben, schließen, dass es tatsächlich ein Risiko gibt. Die aktuelle Studie konnte diesen Effekt nicht bestätigen. Die Wissenschaftler machen vielmehr für den Anstieg der Besorgnis einen Mangel an Wissen über die Ausbreitung von elektromagnetischen Feldern verantwortlich.

 

In der aktuellen Studie wurden 1717 Australiern diese Vorsorgetipps vorgelegt, zusammen mit jeweils einer von sechs möglichen Zusatzinformationen zu den wissenschaftlichen Zusammenhängen. Gaben die Forscher den Probanden nicht nur die Vorsorgetipps, sondern erklärten zusätzlich noch, warum das Befolgen dieser Tipps die eigene Exposition mit elektromagnetischen Feldern stark reduzieren kann, dann stieg die Besorgnis. Die Wissenschaftler erklärten den Probanden, dass zum Beispiel das Telefonieren mit dem Headset die eigene Exposition massiv reduziert. Wenn ein Handy statt einem Zentimeter zehn Zentimeter vom Ohr entfernt ist, dann beträgt die vom Ohr absorbierte elektrische Leistung etwa ein Hundertstel des ursprünglichen Werts. Daher ergibt sich auch, dass das eigene Handy in der Regel für viel mehr Exposition verantwortlich ist als die gemeinhin als „Handymasten“ bezeichneten Mobilfunk-Basisstationen. Während die Wissenschaftler mit diesen Hinweisen die Effektivität der Vorsorge erklären wollten, sahen die Probanden sie vermutlich vor allem als Hinweis darauf, dass ihr Handy – und nicht die Sendemasten – gefährlich sei, und gaben daher ein höheres Gefahrenpotenzial für Telefonate mit dem Handy an.

 

„Die Studie zeigt, dass der Einsatz von Vorsorgebotschaften und Aufklärung im Hinblick auf die subjektive Risikowahrnehmung ein zweischneidiges Schwert ist, dessen Einsatz besser verstanden werden sollte“, so Böhmert.

 

Die Studie im Netz:
Improving Precautionary Communication in the EMF Field? Effects of Making Messages Consistent and Explaining the Effectiveness of Precautions, Int. J. Environ. Res. Public Health 2016, 13(10), 992; doi:10.3390/ijerph13100992

 

Als „Die Forschungsuniversität in der Helmholtz-Gemeinschaft“ schafft und vermittelt das KIT Wissen für Gesellschaft und Umwelt. Ziel ist es, zu den globalen Herausforderungen maßgebliche Beiträge in den Feldern Energie, Mobilität und Information zu leisten. Dazu arbeiten rund 10 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf einer breiten disziplinären Basis in Natur-, Ingenieur-, Wirtschafts- sowie Geistes- und Sozialwissenschaften zusammen. Seine 22 800 Studierenden bereitet das KIT durch ein forschungsorientiertes universitäres Studium auf verantwortungsvolle Aufgaben in Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft vor. Die Innovationstätigkeit am KIT schlägt die Brücke zwischen Erkenntnis und Anwendung zum gesellschaftlichen Nutzen, wirtschaftlichen Wohlstand und Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Das KIT ist eine der deutschen Exzellenzuniversitäten.

kes, 08.11.2016
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