Presseinformation 165/2017

Gefahr durch Antibiotika-Resistenzen weiterhin groß

Befragung von Antibiotika-Forschern weltweit zeigt Unsicherheit über Zahl der Todesopfer – Neues Umfragetool hilft, global Expertenmeinungen zu existenziellen Fragen einzuholen
Fast 100 Prozent der befragten Experten halten die Bedrohung durch Antibiotike Restistenzen für groß. Bild:KIT/RAI
Fast 100 Prozent der befragten Experten halten die Bedrohung durch Antibiotike Restistenzen für groß. (Bild: KIT/RAI)

Das wahre Ausmaß der Gefahr durch Antibiotika-Resistenzen für die Menschheit ist einer Umfrage unter Forschern zufolge nur schwer zu beziffern. Laut der Erhebung der Freien Universität Berlin und des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), die anlässlich der internationalen „World Antibiotic  Awareness Week“ bis Sonntag 19. November vorgestellt wird, herrscht unter Forschern weltweit zwar große Einigkeit, dass Antibiotika-Resistenzen eine ernsthafte Gesundheitsgefährdung darstellen. Doch ließen sich die Zahl der Todesfälle nicht verlässlich angeben.

 

Spektakuläre Schätzungen wie die der britischen O’Neill-Kommission (https://amr-review.org/), die ab 2050 mit zehn Millionen Toten jährlich rechnet, hält demnach nur eine Minderheit der befragten Experten für belastbar. 375 Forscherinnen und Forscher weltweit hat Markus Lehmkuhl, Professor für Wissenschaftskommunikation in digitalen Medien, vom KIT und der Freien Universität für seine Erhebung online befragt. Zu Wort kamen Wissenschaftler, die in den vergangenen drei Jahren einschlägige Studien in internationalen Fachzeitschriften veröffentlicht haben. Zur „World Antibiotic Awareness Week“ rufen internationale Organisationen wie die World Health Organisation WHO auf, um das Bewusstsein für Antibiotikaresistenz in der Öffentlichkeit zu stärken.

 

„Grund für die Unsicherheit bei der Bezifferung der Todesopfer ist eine erhebliche Uneinigkeit unter den Wissenschaftlern, ob sich deren Zahl mit den verfügbaren wissenschaftlichen Methoden beziffern lässt“, so Lehmkuhl. Die Verlässlichkeit dieser Methoden stufe ein knappes Drittel der Befragten als gering oder sehr gering ein, ein weiteres Drittel als hoch oder sehr hoch. Das verbleibende Drittel habe sich nicht festlegen wollen.

 

Einig sind sich die befragten Wissenschaftler, dass Gegenmaßnahmen dringend erforderlich sind. Fast Alle (98,4 Prozent) befürchten ernste oder sehr ernste Konsequenzen, sollte nichts gegen die Ausbreitung resistenter Erreger unternommen werden. Die beiden sinnvollsten Maßnahmen sind aus Sicht der Experten: Den Verbrauch von Antibiotika in der Medizin zu reduzieren und die Hygiene in Kliniken zu verbessern. Weiterhin wichtig: Den Einsatz von Antibiotika in der Nutztierhaltung verringern sowie Impfstoffe, alternative Therapien und schließlich neue Wirkstoffe gegen resistente Bakterien entwickeln.

 

Angesichts der beschriebenen Herausforderungen sehen die Befragten die Darstellung von Antibiotika-Resistenz in der Öffentlichkeit aber keineswegs als übertrieben an: „Knapp zwei Drittel sind der Auffassung, dramatische Formulierungen wie globale ‚Katastrophe‘ oder ‚Anbruch eines postantibiotischen Zeitalters‘ seien mehr oder weniger gerechtfertigt“, sagt Lehmkuhl. Das Fazit des Studienleiters: „Zwar ist man überzeugt, dass Antibiotika-Resistenzen sehr gefährlich sind, gleichzeitig ist man wegen methodischer Schwierigkeiten aber nur sehr bedingt in der Lage, belastbare Zahlen vorzulegen. Um trotzdem Aufmerksamkeit auf dieses wichtige Handlungsfeld zu lenken, halten die meisten der befragten Experten ein alarmierendes Vokabular für gerechtfertigt, weil sie davon ausgehen, dass die Medien darauf anspringen.“ Dies berge allerdings die Gefahr, dass es zu einer Art öffentlichem Überbietungsdiskurs komme. „Wer die höchsten Todeszahlen nennt, die schrecklichsten Szenarien entwirft, der findet Gehör.“

 

Die Befragung ist Teil des Verbundprojektes „Rationaler Antibiotikaeinsatz durch Information und Kommunikation“ (RAI), das von der Charité – Universitätsmedizin Berlin koordiniert und vom Bundesforschungsministerium gefördert wird. Die Wissenschaftler widmen sich sektorenübergreifend dem Thema Antibiotikaeinsatz und Resistenzentwicklung. Lehmkuhls Teilvorhaben hat darüber hinaus zum Ziel, ein Umfragetool zu schaffen, mit dem eine möglichst große Zahl von Experten auf einmal zu einem Thema befragt werden kann – etwa durch Journalisten. „Der Wissensstand ist mittlerweile so groß und differenziert, dass Einzelne ihn nicht mehr repräsentieren können“, sagt Lehmkuhl. Ihm schwebt vor, dem Beispiel der Klimaforschung folgend, die Expertise der wissenschaftlichen Community global anzuzapfen. Die 375 für die Antibiotika befragten Experten repräsentieren etwa 2500 Forscher weltweit, die in den vergangenen drei Jahren Studien über Antibiotika-Resistenz in internationalen Wissenschaftszeitschriften veröffentlicht haben. Befragt wurden also 15 Prozent aller Wissenschaftler, die in dem Bereich arbeiten. Um diese Befragungen künftig auch bei anderen Themen durchführen zu können, kooperiert das KIT beim Verbundprojekt RAI mit dem Science Media Center in Köln. Geplant ist, ein Verfahren zu etablieren, mit dem sich sämtliche Experten einschlägiger Fachgebiete punktuell in den öffentlichen Diskurs einbringen können. Zum Beispiel über ein Webportal, über das Journalisten eine Anfrage an die weltweite Expertenschaft stellen können.

 

Als „Die Forschungsuniversität in der Helmholtz-Gemeinschaft“ schafft und vermittelt das KIT Wissen für Gesellschaft und Umwelt. Ziel ist es, zu den globalen Herausforderungen maßgebliche Beiträge in den Feldern Energie, Mobilität und Information zu leisten. Dazu arbeiten rund 10 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf einer breiten disziplinären Basis in Natur-, Ingenieur-, Wirtschafts- sowie Geistes- und Sozialwissenschaften zusammen. Seine 22 800 Studierenden bereitet das KIT durch ein forschungsorientiertes universitäres Studium auf verantwortungsvolle Aufgaben in Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft vor. Die Innovationstätigkeit am KIT schlägt die Brücke zwischen Erkenntnis und Anwendung zum gesellschaftlichen Nutzen, wirtschaftlichen Wohlstand und Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Das KIT ist eine der deutschen Exzellenzuniversitäten.

cwe/mex, 15.11.2017
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