Neuartige, kompakte Teilchenbeschleuniger für Anwendungen in Wissenschaft und medizinischer Forschung zu entwickeln, ist Ziel der neuen Forschungs- und Entwicklungsplattform für Beschleunigertechnologien „Accelerator Technology HElmholtz iNfrAstructure” (ATHENA). Die Plattform ist eine Zusammenarbeit von sechs Helmholtz-Zentren, darunter das Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Die Helmholtz-Gemeinschaft fördert das Projekt als strategische Ausbaumaßnahme mit 29,99 Millionen Euro.
Der größte und bekannteste Teilchenbeschleuniger der Welt, der 27 Kilometer lange Large Hadron Collider, befindet sich am CERN in der Schweiz. Mit ihm erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Aufbau der Materie. Neben ihrer herausragenden Bedeutung für die physikalische Grundlagenforschung eröffnen Beschleuniger aber noch zahlreiche weitere Anwendungsmöglichkeiten, von der Produktionstechnik bis hin zum medizinischen Einsatz, beispielsweise in der Tumortherapie oder Diagnostik. Allerdings sind heutige Beschleunigeranlagen in Aufbau und Betrieb kostenintensiv. Wären leistungsstarke Beschleuniger deutlich kleiner, könnte diese Technologie viel häufiger zum Einsatz kommen. Ziel der Forschung am KIT ist es daher auch, erste Anwendungen ultrakompakter Beschleunigersysteme in den Lebens- und Materialwissenschaften technologisch zu ermöglichen. Dafür erhält das KIT einen Förderanteil von 4,5 Millionen Euro von der neuen Forschungs- und Entwicklungsplattform für Beschleunigertechnologien ATHENA. „Für die Karlsruher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eröffnet ATHENA den Zugang zu plasmabasierten Beschleunigern. Das passt ideal zur Beschleunigerforschung am Standort KIT, wo wir das Ziel verfolgen, diese Technologie auf breiter Basis für die Gesellschaft zu erschließen“, sagt der Präsident des KIT, Professor Holger Hanselka.
Insbesondere die Speicherung ultrakurzer Elektronenpakete in einem eigens dafür geplanten Elektronenspeicherring sei eine herausragende Anwendung dieser neuen Technologie, so die leitende Beschleunigerphysikerin am KIT, Professorin Anke-Susanne Müller. Diese erlaube das Erhöhen der nutzbaren Lichtpulsraten um einen Faktor von einer Million für Anwendungen von Terahertzstrahlung in der Medizin und in den Materialwissenschaften. Außerdem spare dieses Vorgehen Energie, da gespeicherte Elektronen längere Zeit nutzbar seien. „Im Bereich der Diagnose von Beschleunigersignalen mit hoher Wiederholrate erweitern wir regelmäßig die Grenzen des physikalisch und technologisch Machbaren und unterstützen bereits heute unsere Partner in der Helmholtz-Gemeinschaft sowie in Zukunft auch innerhalb von ATHENA mit unseren Technologien“, fügt Dr. Erik Bründermann, Projektleiter des ATHENA-Teilprojektes am KIT, hinzu.
Der Linearbeschleuniger FLUTE, der im Juli 2017 in Karlsruhe in Betrieb ging, ist mit seinen knapp zwölf Metern ein Beispiel für die kompakten und flexiblen Beschleunigeranlagen am KIT. Durch das Projekt soll sich die Beschleunigungsstrecke in Zukunft aber noch weiter reduzieren – diese allein könnte zukünftig auf die Größe weniger Zentimeter schrumpfen.
Koordiniert vom Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY) wollen die an ATHENA beteiligten Helmholtz-Zentren außerdem zwei deutsche Leuchtturmprojekte der Beschleunigerforschung auf Grundlage innovativer plasmabasierter Teilchenbeschleuniger und hochmoderner Lasertechnologie aufbauen: beim DESY in Hamburg eine Elektronen- und am Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) eine Hadronen-Beschleunigeranlage. An beiden Anlagen sollen verschiedene Einsatzgebiete entwickelt werden, die von einem kompakten Freie-Elektronen-Laser über innovative medizinische Anwendungen bis hin zu neuen Einsatzmöglichkeiten in Kern- und Teilchenphysik reichen. Sobald die Nutzungsreife in einem Gebiet erreicht worden ist, könnten neue, kompakte Anlagen in anderen Helmholtz-Zentren, aber auch an Universitäten und Krankenhäusern aufgebaut werden.
Die sechs an dem Projekt beteiligten Beschleunigerzentren der Helmholtz-Gemeinschaft umfassen, neben KIT, DESY und HZDR, das Forschungszentrum Jülich, das Helmholtz-Zentrum Berlin, das GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt sowie das Helmholtz-Institut Jena.
Die ATHENA-Arbeiten sind durch die EU-geförderte Designstudie EuPRAXIA mit ihren 40 Partnerinstituten, ebenfalls durch DESY koordiniert, eng in die europäische Forschungslandschaft eingebettet. Damit hat das deutsche Spitzenforschungsprojekt ATHENA von Beginn an auch eine klare europäische Perspektive und Ausrichtung.
Als „Die Forschungsuniversität in der Helmholtz-Gemeinschaft“ schafft und vermittelt das KIT Wissen für Gesellschaft und Umwelt. Ziel ist es, zu den globalen Herausforderungen maßgebliche Beiträge in den Feldern Energie, Mobilität und Information zu leisten. Dazu arbeiten rund 10 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf einer breiten disziplinären Basis in Natur-, Ingenieur-, Wirtschafts- sowie Geistes- und Sozialwissenschaften zusammen. Seine 22 800 Studierenden bereitet das KIT durch ein forschungsorientiertes universitäres Studium auf verantwortungsvolle Aufgaben in Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft vor. Die Innovationstätigkeit am KIT schlägt die Brücke zwischen Erkenntnis und Anwendung zum gesellschaftlichen Nutzen, wirtschaftlichen Wohlstand und Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Das KIT ist eine der deutschen Exzellenzuniversitäten.