Der starke Wunsch nach Mobilität, zunehmende Gütertransporte und die Frage der Nachhaltigkeit machen die Herausforderungen im Verkehrsbereich immer komplexer. Als Antwort darauf fördert das Land Baden-Württemberg die Profilregion Mobilitätssysteme Karlsruhe. Am Freitag, 10. Mai 2019 wurde offiziell die „Kernphase“ dieses Leistungszentrums eröffnet, das als „One-stop-Shop“ die erste Anlaufstelle für Unternehmen, Planer und politische Entscheider in Sachen neue Mobilitätskonzepte darstellt. Binnen zwei Jahren stehen nun über 9 Millionen Euro für interdisziplinäre Forschungsprojekte bereit; die Themen reichen vom autonomen Fahren über gesellschaftliche Veränderungen bis zu neuen, umweltschonenden Kraftstoffen.
Mobilität im Mittelpunkt gesellschaftlicher Fragestellungen
Unsere Mobilität tritt immer häufiger in den Mittelpunkt gesellschaftlicher Fragestellungen und Diskussionen. Dem „zu viel“ in der Stadt mit dem Diskurs über Emissionen, Fahrverbote, lange Staus oder wertvollen innerstädtischen Parkplatzraum steht ein „zu wenig“ an öffentlichem Nahverkehr, vor allem auf dem Land gegenüber. Unsere Gesellschaft ist in ländlichen Regionen häufig auf das eigene Auto angewiesen. Gleichzeitig ändert sich bei der heranwachsenden Generation der Bezug zum eigenen Auto, das Bedürfnis nach Mobilität ist hoch, die Wege zum Ziel sind aber häufig zweitrangig.
Zu diesen gesellschaftlichen Veränderungen kommen auch technologische Neuerungen, zum Beispiel veränderte Antriebsstränge und Energieträger. Die massiv voranschreitende Digitalisierung eröffnet zusätzlich völlig neue Möglichkeiten wie vernetztes und autonomes Fahren und fast täglich erscheinen neue Mobilitätsdienstleistungen auf dem Markt.
Wirtschaftsministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut: „Der Technologie- und Strukturwandel stellt ganz neue Herausforderungen an die industrielle Wertschöpfungskette. Wir wollen die Systemkompetenz und die Wertschöpfung zu Fahrzeug und Mobilität in Baden-Württemberg erhalten. Die Profilregion Mobilitätssysteme in Karlsruhe ist daher ein wichtiger Baustein für das Gelingen der Transformation.“
Durch seine exzellente Lehr-, Forschungs- und Innovationslandschaft ist Karlsruhe Vorreiter bei der Beantwortung drängender Zukunftsfragen der Mobilität. Damit das so bleibt, haben sich hier Forschungseinrichtungen zur Profilregion Mobilitätssysteme zusammengeschlossen. „Ziel der Kooperation ist es, gemeinsam mit regionalen und überregionalen Partnern aus der Wirtschaft, die Transformation des Mobilitätsbereichs durch nachhaltige Mobilitätslösungen voranzutreiben, den Dialog mit der Gesellschaft zu intensivieren sowie Politik entsprechend zu beraten“, sagt Professor Thomas Hirth, Vizepräsident des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) für Innovation und Internationales. Nach einer dreijährigen Pilotphase geht die Profilregion Mobilitätssysteme Karlsruhe nun in die nächste Förderphase mit neuen Vorhaben.
Prognose zur Mobilität 2030
„Wenn ich eine Prognose zur Mobilität 2030 abgeben soll“, sagt Professor Frank Gauterin, Wissenschaftlicher Sprecher der Profilregion Mobilitätssysteme Karlsruhe und Leiter des Instituts für Fahrzeugsystemtechnik am KIT, „dann gehe ich von einer zunehmenden Vielfalt stärker ausdifferenzierter Konzepte aus, die miteinander im Wettbewerb stehen bzw. unterschiedliche Anwendungsnischen besetzen werden.“ So wird es weiterhin verbrennungsmotorische Antriebe geben, die jedoch deutlich verbrauchs- und emissionsreduziert wurden, beispielsweise durch Downsizing und synthetische Kraftstoffe. Daneben wird es zunehmend elektromotorische Antriebe geben und dazwischen verschiedene Grade der Hybridisierung. Die aktuellen Bemühungen der deutschen Automobilindustrie und die Klimaziele für den Verkehr zeigen das auf. Unsere Verkehrsinfrastruktur wird intelligenter und die zunehmende Digitalisierung der Mobilität durch Automatisierung und Vernetzung von Fahrzeugen birgt erhebliche Potenziale, insbesondere für neue Geschäftsmodelle, Dienstleistungen und technische Lösungen von Start-ups. Der Individualverkehr in der Stadt wird stärker als heute von kleineren, aktiv oder elektrisch angetriebenen Mobilitätslösungen geprägt sein. Eine besondere Rolle nimmt zukünftig auch der Transport auf der ersten oder letzten Meile ein sowie neue Angebote für öffentlichen Nahverkehr oder die geteilte Nutzung von Fahrzeugen und Infrastrukturen.
Gravierende Änderungen im wichtigen Marktsegment der Mobilität
Die anstehenden, gravierenden Veränderungen in dem für Baden-Württemberg und Deutschland so wichtigen Marktsegment, haben die beiden Landesministerien für Wissenschaft, Forschung und Kunst sowie für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau dazu veranlasst, gemeinsam die Profilregion Mobilitätssysteme Karlsruhe zu fördern. „Die Aufgabenstellungen werden deutlich komplexer“, sagt Frank Gauterin, „das kann eine Forschungseinrichtung alleine nicht mehr in der gewünschten Exzellenz abdecken.“ Aus diesem Grund haben sich die vier in Karlsruhe ansässigen Fraunhofer-Institute ICT, ISI, IOSB und IWM mit dem FZI Forschungszentrum Informatik, der Hochschule Karlsruhe – Technik und Wirtschaft sowie dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) mit insgesamt 20 beteiligten Instituten zur Profilregion Mobilitätssysteme Karlsruhe zusammengeschlossen. Beide Ministerien stellen zusammen 4,75 Millionen Euro Fördergeld bereit, die Partner sowie die Industrie werden in etwa die gleiche Summe beisteuern, so dass in den kommenden zwei Jahren gemeinsam Projekte im Wert von über 9 Millionen Euro bearbeitet werden.
Die Projekte der Profilregion Mobilitätssysteme Karlsruhe
In sechs Projekten macht sich die Region fit für die Zukunft:
Bei den Einführungsszenarien für kooperatives, vernetztes Fahren werden Anwendungsfälle und hierfür notwendige Technologien untersucht, die einen nutzenbringenden Einsatz von automatisiertem und vernetztem Fahren schon bei geringen Durchdringungsraten in der Flotte ermöglichen. Bei der Einführung dieser Technologie wird es für viele Jahre zum gemeinsamen Verkehr zwischen personengelenkten Fahrzeugen und (teil-) autonomen Fahrzeugen kommen, sodass diese Übergangszeit entsprechend zu gestalten ist. Es werden verschiedene konkrete Szenarien für kooperatives Fahren mit seriennaher Technologie sowohl in technologischer, als auch in wirtschaftlicher, legislativer und gesellschaftlicher Sicht untersucht und praktische Anforderungen und Potenziale für die Markteinführung abgeleitet.
Um eine zukunftsfähige Mobilität gewährleisten zu können und die Akzeptanz von autonomen Fahrzeugen zu steigern, müssen die Fahrfunktionen sicher und zuverlässig sein. Beim Virtuellen Testfeld für die Verifikation vernetzter und autonomer Fahrfunktionen werden Hersteller von Komponenten, Systemen und Fahrzeugen sowie die entsprechenden Zulassungseinrichtungen wie TÜV, Dekra und GTÜ, bei Fragestellungen zu Absicherung der funktionalen Sicherheit (Safety) und der IT-Sicherheit beziehungsweise des Missbrauchs automatisierter und vernetzter Fahrfunktionen durch Menschen (Security) unterstützt.
Mobilität ist wichtig für die Wirtschaftsentwicklung und die soziale Teilhabe. Um den aktuellen Herausforderungen begegnen zu können, müssen neue Mobilitätsangebote, Mobilitätsformen und emissionsarme Antriebe mit Blick auf die Kundenbedürfnisse entwickelt und eingesetzt werden, um einen Wandel bewirken zu können. Die Urbane Mobilität im Wandel befasst sich mit gesellschaftlichen Fragestellungen und bezieht die unterschiedlichen Nutzergruppen ein, um die Bedarfe zu ermitteln und dafür geeignete Lösungen zu entwickeln.
Technische Lösungen stehen bei der Entwicklung von zukunftsfähigen Leichtbau-Traktionsbatteriesystemen im Interesse der Forscherinnen und Forscher. Ultraschnellladesysteme mit Ladeleistungen bis zu 350 kW sind bereits in der Entwicklung und sollen ab 2020 Kunden zur Verfügung stehen. Aufgrund dieser hohen Leistung ergeben sich neue Herausforderungen an das Kühlsystem von Batterien für Elektromotoren. Zur effizienten und funktionsintegrierten Kühlung des Batteriesystems werden Kühlstrukturen realisiert, die direkt im oder am Batteriemodul angebracht sind. Für die Fertigung des Batteriesystems werden verschiedene Leichtbauweisen zum optimalen Gesamtsystem kombiniert.
Beim Projekt Entwicklung eines Antriebes mit aromatenfreien Kraftstoffen auf regenerativer Basis soll untersucht werden, wie Verbrennungsmotoren optimal mit regenerativ erzeugten Kraftstoffen betrieben werden können und welche Kraftstoffe die besten Eigenschaften zeigen. Durch die besondere chemische Zusammensetzung und die Erzeugung aus regenerativen Quellen wird es möglich, Verbrennungsmotoren treibhausgasneutral und praktisch schadstofffrei zu betreiben. Derzeit noch offene Fragestellungen sind zum Beispiel die Polymerdichtungsverträglichkeit der Kraftstoffe, die Auswirkungen auf die Tribologie durch die dauerhafte Exposition auf konventionelle Antriebsperipherie sowie auch Fragen zur Entflammbarkeit und Flammkernbildung.
Die Effizienzsteigerung hybrider Antriebsstränge durch Optimierung des Thermohaushalts hat das Ziel, bei Fahrzeugen mit Hybridantrieb durch eine optimale Betriebsstrategie die elektrische Reichweite zu erhöhen und durch insgesamt höhere Effizienz die CO2-Emissionen zu vermindern. Die Kombination von elektrischem Antrieb und Verbrenner lässt vielfältige Kombinationsmöglichkeiten im Betrieb zu. Für die Suche der optimalen Strategie wird der Antriebsstrang detailliert in der ganzen Breite untersucht werden, beginnend bei der Charakterisierung des thermischen Verhaltens der Batteriezellen über die Abwärme der Motoren und Elektronik bis zu den Potenzialen einer Restwärmenutzung aus dem Abgas.
Weitere Information zum Leistungszentrum „Profilregion Mobilitätssysteme Karlsruhe“ finden Sie hier:
http://www.profilregion-ka.de/index.php/de/
Bei einem Presserundgang am Freitag, 10. Mai 2019, um 14:30 Uhr am Campus Süd des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) stellen Experten Ergebnisse aus der Pilotphase vor und geben einen Ausblick auf die geplanten, neuen Projekte. Die entsprechende Presseeinladung finden Sie hier: http://www.profilregion-ka.de/index.php/de/component/jdownloads/send/7-veranstaltungen/29-presseeinladung-eroeffnung-kernphase
Im Anschluss wird ab 15.30 Uhr die Eröffnung der Kernphase mit einem Stehempfang gefeiert. Das Programm der Veranstaltung ist hier: http://www.profilregion-ka.de/index.php/de/component/jdownloads/send/7-veranstaltungen/30-einladung-eroeffnung-kernphase
Als „Die Forschungsuniversität in der Helmholtz-Gemeinschaft“ schafft und vermittelt das KIT Wissen für Gesellschaft und Umwelt. Ziel ist es, zu den globalen Herausforderungen maßgebliche Beiträge in den Feldern Energie, Mobilität und Information zu leisten. Dazu arbeiten rund 10 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf einer breiten disziplinären Basis in Natur-, Ingenieur-, Wirtschafts- sowie Geistes- und Sozialwissenschaften zusammen. Seine 22 800 Studierenden bereitet das KIT durch ein forschungsorientiertes universitäres Studium auf verantwortungsvolle Aufgaben in Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft vor. Die Innovationstätigkeit am KIT schlägt die Brücke zwischen Erkenntnis und Anwendung zum gesellschaftlichen Nutzen, wirtschaftlichen Wohlstand und Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Das KIT ist eine der deutschen Exzellenzuniversitäten.