Presseinformation 049/2020

Maximal 20 pro Jahr: Ein klares Ziel für den Artenschutz

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fordern mit Grenzwert für die Zahl ausgestorbener Spezies ähnlichen Grundsatz wie das Zwei-Grad-Ziel für den Klimaschutz
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren Wisente fast ausgestorben. 2013 haben Artenschützer im Rothaargebirge wieder eine Herde angesiedelt. (Foto: Timo Deible, Zoo Karlsruhe)
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren Wisente fast ausgestorben. 2013 haben Artenschützer im Rothaargebirge wieder eine Herde angesiedelt. (Foto: Timo Deible, Zoo Karlsruhe)

Der in der internationalen Biodiversitätskonvention beschlossene Zehnjahresplan für den Erhalt der biologischen Vielfalt hat seine Ziele zum Jahr 2020 verfehlt. Ein Wissenschaftler des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) setzt sich deshalb für eine übergeordnete politische Vorgabe ein, um den Diskussionen zum Artenschutz mehr Kraft zu verleihen: Zusammen mit einer Gruppe von Expertinnen und Experten anderer Forschungseinrichtungen engagiert er sich dafür, das Artensterben auf 20 verschwundene Spezies pro Jahr zu begrenzen. Darüber berichten sie aktuell in der Zeitschrift Science. (DOI: 10.1126/science.aba6592).

Das Zwei-Grad-Ziel des Übereinkommens von Paris dient der Klimapolitik als Fokus für notwendige Maßnahmen, um den Klimawandel aufzuhalten. Doch auch für den Artenschutz besteht dringender Handlungsbedarf. „Die Menschheit ist von der Biodiversität abhängig“, sagt Professor Mark Rounsevell, Leiter der Forschungsgruppe Landnutzungsänderung und Klima am Institut für Meteorologie und Klimaforschung – Atmosphärische Umweltforschung des KIT. „Ohne die Dienstleistungen unserer Ökosysteme, wie etwa das Bestäuben von Nutzpflanzen durch verschiedene Insekten, fehlt uns die Lebensgrundlage. Die Politik braucht daher ein klares Ziel, um die biologische Vielfalt zu erhalten.“ Ihre Forderung, das Aussterben von Spezies langfristig auf 20 pro Jahr zu begrenzen, ist nach Ansicht von Rounsevell und einer Gruppe weiterer Forscherinnen und Forscher ein sowohl leicht zu vermittelndes als auch messbares Ziel. Die Wissenschaftler wollen erreichen, dass die Vorgabe in die im kommenden Jahr stattfindenden Neuverhandlungen zum Übereinkommen über die biologische Vielfalt mit einfließt. Die zuletzt von den Vertragsstaaten des Biodiversitätsabkommens beschlossenen sogenannten Aichi-Ziele enthielten 20 Kernziele unter anderem zum weltweiten Schutz von Ökosystemen und zur Förderung von Nachhaltigkeit.

Der Vorschlag von Rounsevell und der weiteren Experten basiert unter anderem auf Studien zur Belastungsgrenze des Planeten. Neben der Versauerung der Meere, der Luftverschmutzung oder dem Verbrauch von Süßwasser ist der Verlust von Biodiversität ein wesentlicher Parameter, welcher die Stabilität der weltweiten Ökosysteme unwiderruflich gefährden könnte. Beim Überschreiten eines bestimmten Schwellenwerts rechnen Forschende mit langfristigen negativen Folgen für die Umwelt. Um dies zu verhindern, sollte der Artenschwund aktuellen Erkenntnissen zufolge nicht mehr als das Zehnfache seines natürlichen Werts betragen. „Bei momentan rund zwei Millionen beschriebenen Spezies sind das rund 20 aussterbende Arten pro Jahr“, sagt Rounsevell. „Dabei schließen wir alle Pilz-, Pflanzen-, wirbellose sowie Wirbeltierarten mit ein, welche an Land, in Süß- oder in Salzwasserhabitaten leben.“

Notwendige Maßnahmen verbessern Gesamtzustand

Da die Geschwindigkeit des Artenschwunds bis heute immer weiter zunimmt, wären weitreichende umweltpolitische Maßnahmen erforderlich, um das Ziel der Biodiversitätsforscher umzusetzen. Damit würde sich die Vorgabe auch insgesamt positiv auf den Zustand der Ökosysteme auswirken. Analog dazu funktioniert das Zwei-Grad-Ziel im Klimaschutz: Obwohl die Temperatur nur einer von vielen Faktoren des komplexen Klimasystems ist, verbessern die für das Erreichen des Ziels notwendigen Maßnahmen den Klimaschutz insgesamt. Ein geringerer Temperaturanstieg wirkt sich indirekt etwa auch auf den Anstieg des Meeresspiegels oder das Auftreten von Wetterextremen wie Stürmen oder starken Regenfällen aus.

Als mögliche Handlungsoptionen schlagen Rounsevell und die Forschungsgruppe auf Grundlage der Empfehlungen des Weltbiodiversitätsrats (IPBES) etwa vor, Naturschutzgebiete auszuweiten, den Artenschutz stärker finanziell zu fördern, Öko-Labels weiterzuentwickeln oder den Handel mit Wildtieren strafrechtlich konsequent zu verfolgen. Da Biodiversität auf regionaler Ebene unterschiedliche Formen annimmt, ist es nach Rounsevell notwendig, politische Maßnahmen auf lokale und regionale Gegebenheiten anzupassen. „Jedes Land muss einen eigenen Maßnahmenkatalog ausarbeiten und damit selbst Verantwortung übernehmen, um das Ziel zu erreichen“, sagt der Umweltforscher. Ob der neue Ansatz für den Artenschutz erfolgreich ist, solle kontinuierlich überprüft werden. „Um festzustellen, wie sich die Geschwindigkeit des Artensterbens entwickelt, sind umfangreiche Monitoringprojekte notwendig“, erklärt Rounsevell. Sind die Anstrengungen zum Schutz der Biodiversität erfolgreich, könne der Grenzwert für die Zahl pro Jahr verschwundener Spezies später weiter nach unten korrigiert werden.

Originalpublikation:

Mark D. A. Rounsevell, Mike Harfoot, Paula A. Harrison, Tim Newbold, Richard D. Gregory, Georgina M. Mace: A biodiversity target based on species extinctions. Science, 2020. (DOI: 10.1126/science.aba6592)

Weitere Materialien:
https://science.sciencemag.org/content/368/6496/1193/tab-article-info

Details zum KIT-Zentrum Klima und Umwelt: http://www.klima-umwelt.kit.edu

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cme, 12.06.2020
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