Wie geht’s weiter mit dem deutschen Wald?
Der Klimawandel bringt immer häufigere Trockenheit und Dürre mit sich. Damit steigt die Waldbrandgefahr. Auf einem Waldspaziergang plädiert Forstwissenschaftler Dr. Somidh Saha vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) für mehr Forschung und mehr Mut zum Experiment.
Zwischen Bäumen am Stadtrand von Karlsruhe steht Dr. Somidh Saha vor einer Roteiche und schaut in ihre Krone – der imposante Baum überragt die umstehenden Buchen und Fichten deutlich. „Eigentlich dürfte diese Art im Hardtwald gar nicht vorkommen. In Südwestdeutschland gab es vor Christoph Kolumbus nur Stiel-, Trauben und Flaumeichen. Die Roteiche stammt aus Nordamerika.“
Wann und warum genau sie hier gepflanzt wurde, das weiß auch der Leiter der Forschungsgruppe „Sylvanus – Erhöhung der Resilienz und Vermeidung von Zielkonflikten bei Waldumwandlungen“ am Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) des KIT nicht. Aber im Hardtwald und rund um das Karlsruher Schloss wachsen neben Roteichen auch weitere Baumarten aus fernen Weltregionen – und das bereits seit dem 18. Jahrhundert. Eingeführt wurden sie im Auftrag des Stadtgründers, Markgraf Karl III. Wilhelm von Baden-Durlach und seiner Familie: „Sie pflegten und schützten den Wald für ihre Jagd und pflanzten Exoten wie Rosskastanien, Ahornblättrige Platanen, Gewöhnliche Robinien sowie Roteichen vor allem aus ästhetischen Gründen. Über die Jahrhunderte kamen weitere Baumarten hinzu.“
Somidh Saha legt die Hand auf den Stamm. „Heute ist es ein Glück, dass diese Bäume hier wachsen – sie sind ein unbeabsichtigtes Langzeitexperiment. Sie helfen uns, rückblickend zu verstehen, wie Neophyten, also aus anderen Gebieten eingeführte Pflanzen, im deutschen Wald mit den Herausforderungen des Klimawandels umgehen.“
Die Ausgabe 3/2023 des Forschungsmagazins lookKIT dreht sich rund um den Klimawandel.
Zum MagazinIm Expertenportät erklärt Somidh Saha, wie sich Bäume auf das Stadtklima auswirken und deren Widerstandsfähigkeit verbessert werden kann.
Zum PorträtEine Schicksalsfrage für den Wald in Deutschland
Könnten Baumarten aus anderen Weltregionen die Lösung für den deutschen Wald im Klimawandel sein? „Ein großes Dilemma der Waldforschung sind die großen Zeitskalen“, erklärt Saha. „Auch als Forschende können wir nicht genau wissen, was sein wird – und das gilt in hohem Maße für Waldökosysteme, deren Entwicklung Jahrhunderte oder sogar Jahrtausende dauern kann.“ Mit großer Sicherheit prognostizierten die Modelle der Klimaforschung allerdings ein mediterranes Feuerklima: „Deutschland ist schon heute ein Waldbrandland und in Zukunft werden die Feuer größer ausfallen und häufiger auftreten.“
Gerade im Hardtwald herrschen dafür ideale Bedingungen, befürchtet der Waldforscher: „Der Wald wächst sehr dicht und produziert viel Biomasse. Wenn das Klima nun warm und trocken wird, dann kommt es im schlimmsten Fall zu Waldbränden mit hoher Intensität. In einer vom Menschen geprägten Kulturlandschaft ist die Gefahr dafür besonders groß, da die meisten Brände von Menschen verursacht werden – entweder absichtlich oder aus Nachlässigkeit. Wiederholte Brände können Wälder wie den Hardtwald dann in steppenähnliche Gebiete verwandeln, die anfällig für invasive Pflanzenarten sind. Städte dienen oft als Quelle für die Ausbreitung solcher Pflanzen.“
Dies bedeute den Verlust des Waldes mit all seinen essenziellen Funktionen für die Menschen. „Der Wald ist nicht nur Lebensraum für Tiere und Pflanzen. Er schützt auch unsere Trinkwasserversorgung und verbessert das Stadtklima, er ist Rohstofflieferant und ein wichtiger Erholungsraum.“
Während Somidh Saha weitere Ökosystemleistungen aufzählt, die es zu schützen gilt, steuert er ein neues Ziel im Hardtwald an. Dieses Mal handelt es sich um einen einheimischen Baum, eine Rotbuche – allerdings liegt sie vertrocknet am Boden. Somidh Saha bricht einen Zweig ab und knistert mit dem dunkelbraunen Laub: „Die wiederholte Dürre war wohl zu viel. Bäume sterben ja meist langsam, aber dieser hier ist einfach umgefallen.“
Alleine in den letzten fünf Jahren seien deshalb 180 000 Hektar Wald in Deutschland abgestorben. Die irre Geschwindigkeit des Wandels werde oft unterschätzt: „Noch sind rund 32 Prozent der Fläche Deutschlands bewaldet. Wenn das so bleiben soll, dann müssen wir sehr viel mehr tun.“
Keine Erfolgsgarantie
Insofern gebe es gute Gründe, jetzt Bäume zu pflanzen, die mit dem heißen und trockenen Klima besser zurechtkommen, findet Saha: „Es ist eine extreme Maßnahme für eine extreme Situation.“ Doch er weiß: „Es gibt keine Erfolgsgarantie.“ Die Forschung des KIT an Roteichen im Karlsruher Stadtgebiet hat zum Beispiel gezeigt, dass der als besonders widerstandsfähig geltende Baum den europäischen Arten vermutlich nur in Teilen seines Lebenszyklus überlegen ist – und im Alter tendenziell schwächelt.
Zudem sei die Artenvielfalt an und um die ortsfremden Bäume geringer als bei den heimischen Eichen. „Der Waldboden ist ja kein Blumentopf, in den man beliebig etwas pflanzen kann“, sagt der Wissenschaftler: „Bäume und Boden, Pilze und Tiere, alle Waldbewohner durchlaufen eine komplexe Koevolution und bilden ein gemeinsames Ökosystem.“
Deshalb gebe es auch genauso gute Gründe, weniger oder nichts zu tun, um den Wald zu schützen und ihm so die Möglichkeit zu geben, sich ungestört anzupassen. Dieser „do-nothing-approach“ sei sozusagen der radikale Gegenentwurf zur „assisted migration“, wie der Waldumbau mit fremden Bäumen genannt wird.
„Natürlich gibt es auch hier keine Erfolgsgarantie“, so Saha. Vor allem würde es sehr lange dauern und in einer Kulturlandschaft mit fragmentiertem Waldbestand vielleicht gar nicht funktionieren. „Aber auch europäische Bäume haben manchmal Überraschungen parat.“ An abgelegenen Berghängen im Schwarzwald wachse zum Beispiel eine Zwergform der Rotbuche, die sich besonders langsam entwickelt und dabei mit trockenen und extrem kargen Böden zurechtkommt.
Gemischter Ansatz beim Waldumbau in Kulturlandschaften
Zwischen hohen Kiefern nähert sich der Waldspaziergang im Hardtwald nun seiner letzten Station – Somidh Saha möchte uns noch eine Stelle zeigen, die vor kurzem gerodet wurde. Heute wächst hier ein dichter Jungwald. „Der bestehende Baumbestand wurde also nicht geschützt, sondern abgeholzt. Dabei wurde eine Monokultur entfernt, jetzt entsteht etwas Bunteres.“ Nun könne man die heimischen Arten ungestört wachsen lassen und zusätzlich lockere Gruppen mit geeigneten Baumarten aus anderen Klimazonen pflanzen.
„Durch den gemischten Ansatz erhöhen wir die Artenvielfalt und damit die Widerstandsfähigkeit gegenüber dem Klimawandel. Gleichzeitig erhöhen wir die Kohlenstoffbindung“, erklärt Saha. „Die Gruppenpflanzung haben wir bereits nach dem Orkan Lothar 1999 erprobt und gute Ergebnisse erzielt. Für den Waldumbau in der Klimakrise halte ich diesen gemischten Ansatz für einen geeigneten Weg.“
Karlsruhe als Reallabor für den Wald in der Klimakrise
Mit ihrer Vorliebe für exotische Baumarten machten die badischen Markgrafen Karlsruhe einst zum Reallabor für Bäume. Heute gibt es in der Stadt und ihrer Umgebung über 200 Baumarten, darunter viele Neophyten. „Dieses Erbe sollten wir nun systematisch für die Forschung nutzen, indem wir den Umgang mit und die Eignung von Bäumen untersuchen, die schon lange in unserer Stadt heimisch sind“, sagt Saha. „So können wir die Auswahl der Arten und Formen der Bewirtschaftung für den Wald der Zukunft kontinuierlich verbessern.“
Das Wichtigste sei jetzt, die Forschung massiv auszubauen, die Fachleute von morgen auszubilden und vieles auszuprobieren – das KIT könnte dabei eine zentrale Rolle spielen. „Warum zum Beispiel nicht weiter neue Baumarten in Karlsruhe pflanzen und an ihnen forschen? Wir könnten es mit feuerresistenten Korkeichen im Schlossgarten versuchen!“
Dr. Martin Heidelberger, 18.10.2023