Computermodelle und Maschinelles Lernen verbessern die Herzdiagnostik

Die innovative Modellierungsmethode der Karlsruher Forschenden kann die personalisierte Behandlung entscheidend verbessern

Ein Zittern in der Brust und das Gefühl, als ob das Herz aussetzt – ein solches Herzstolpern ist oft unbedenklich, aber für Betroffene leidvoll. Ausgelöst wird das Stolpern meist durch Extraschläge des Herzens, die Angst machen und in einigen Fällen das Risiko für lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen erhöhen können. Am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) arbeiten Forschende daran, die Diagnose und Therapie von Herzerkrankungen durch Computermodellierung zu erleichtern und zu verbessern.

Stephanie Appel ist eine der Wissenschaftlerinnen in der Arbeitsgruppe Herzmodellierung am Institut für Biomedizinische Technik (IBT) des KIT. Die Gruppe hat es sich zum Ziel gesetzt, die Herzfunktion realitätsgetreu im Computermodell abzubilden und so zur Verbesserung der Medizin beizutragen. In ihrem Projekt beschäftigt sich Appel gezielt mit dem Vorhofflimmern, einer Herzrhythmusstörung, bei der sich elektrische Impulse unregelmäßig in den Vorhöfen ausbreiten. Diese können dann nicht mehr zur Pumpfunktion des Herzens beitragen. „Mit meiner Arbeit versuche ich, die Erregungsausbreitung im Herzen der Patientinnen und Patienten genau zu simulieren. Mithilfe von spezifischen Daten der Patientinnen und Patienten erstelle ich individuelle Computermodelle und entwickle Methoden, um die Ursache der Störung genauer charakterisieren zu können“, so Appel.

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Die Ausgabe 2024/2 des Forschungsmagazins lookKIT widmet sich Methoden und Technologien zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung.

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Vorhofflimmern ohne Vernarbungen behandeln

Das Promotionsprojekt ist Teil des Sonderforschungsbereichs „Wellenphänomene“ am KIT. Appel wird dafür ein bestehendes Computermodell mit neuen Parametern füttern und es weiterentwickeln, um so ein neuartiges Therapieverfahren für das Vorhofflimmern zu erarbeiten. Bei der derzeit gängigen Ablationstherapie wird mittels eines eingeführten Katheters krankes Gewebe durch Kälte und Hochfrequenzstrom gezielt zerstört. Dabei bleibt jedoch Narbengewebe zurück. Durch die neuen Erkenntnisse hoffen die Forschenden, Herzschrittmacher nutzen zu können, die das Vorhofflimmern durch zeitlich und räumlich genau abgestimmte Impulse durchbrechen. Diese Therapie würde ohne dauerhafte Veränderung des Herzmuskelgewebes und dadurch ohne das Risiko einer Perforation oder Narbenbildung funktionieren.

Das von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern entwickelte Modell bilde die unterschiedlichen Funktionen des Herzens mithilfe mathematischer Gleichungen ab, erklärt Dr. Axel Loewe, Leiter der Arbeitsgruppe am IBT: „Ein Fokus liegt dabei auf der Elektrophysiologie des Herzens. Der Herzrhythmus wird durch elektrische Aktivität koordiniert, die wir in mathematische Gleichungen übersetzen. Diese beschreiben die unterschiedlichen biologischen Ebenen im Herz bis hin zu kleinsten Bausteinen, die sich öffnen und schließen, je nachdem, wie die elektrische Spannung ist.“

Mit digitalen Zwillingen zum Therapieerfolg beitragen

Eine Studie aus dem vergangenen Jahr zeigt den Erfolg, den das IBT mit seiner Forschung erzielt. In Zusammenarbeit mit dem Universitäts-Herzzentrum Freiburg-Bad Krozingen hat die Arbeitsgruppe das Potenzial der Modellierungsmethode mit aktuellen Therapieverfahren verglichen. Mithilfe der Daten von 29 Personen erstellten die Forschenden jeweils einen digitalen Zwilling des Herzens der Patientinnen und Patienten, um Auslöser für zusätzliche Herzschläge erkennen zu können.

„Wir konnten sehen, dass die akkurate Lokalisierung von Bindegewebseinlagerungen in den Vorhöfen entscheidend für den Erfolg von personalisierter Therapie ist. Wenn die Therapie, die das Herzgewebe elektrisch isoliert, gezielt an diesen Stellen eingebracht wird, kann die Herzrhythmusstörung beendet werden. Mit verbreiteten Therapieverfahren dagegen kann man die den Rhythmus störenden Regionen nur ungefähr lokalisieren. Die Therapie funktioniert dann bei einem Drittel der Patientinnen und Patienten schon nicht mehr“, erklärt Loewe. Mit ihrer Methode könnten die Forschenden medizinische Eingriffe beschleunigen, Risiken verringern und Ergebnisse verbessern, so der Elektrotechniker. 

Verzahnung von naturwissenschaftlichen Grundlagen und Künstlicher Intelligenz

Die Genauigkeit ihrer Computermodelle hat die Arbeitsgruppe am KIT durch Maschinelles Lernen erhöht. Da klinische Patientinnen- und Patientendaten in Deutschland schlecht verfügbar sind und oft nicht systematisch erfasst werden, haben die Forschenden ihre Anwendung mit simulierten Daten trainiert. Die Vorgehensweise der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für weitere maschinelle Lernverfahren verdeutlicht Loewe erneut am Beispiel des Vorhofflimmerns: „Die Standard-Ablationstherapie erreicht bei etwa 50 Prozent der Betroffenen eine Gesundung. Bei welchen Patientinnen und Patienten Aussicht auf Erfolg besteht, ist jedoch schwer abzusehen. Wir haben über 1 000 Episoden von Vorhofflimmern im Computermodell berechnet und virtuelle Ablationen durchgeführt. Mit diesen simulierten Daten konnten wir dann ein maschinelles Lernverfahren trainieren.“

Um das Modell anschließend zu bewerten, wurden die Ergebnisse mit realen Datensätzen verglichen. Der Vorgang zeigte, wie das Modell das Potenzial der medizinischen Eingriffe steigert: Die Forschenden konnten in 83 Prozent aller klinischen Fälle von Vorhofflimmern Patientinnen und Patienten, die nicht unmittelbar von der Ablationstherapie profitieren würden, vorab anhand eines EKGs identifizieren. „Dieser Vorgang ist enorm spannend. Die Synergie von Computermodellen, die auf den Grundgesetzen der Physik und der Biologie basieren, und die zunehmende Verzahnung mit Maschinellem Lernen und Künstlicher Intelligenz wird in Zukunft auch in der Medizin immer mehr an Bedeutung gewinnen“, so Loewe.

Heike Marburger, 26.08.2024

Eine Frau arbeitet im Vordergrund an einem Computer, auf dem Bildschirm ist ein 3D-Modell eines Herzens abgebildet. Im Hintergrund untersucht ein Mann ein überlebensgroßes Kunststoffmodell eines Herzens. Markus Breig, KIT
Mit der realitätsgetreuen Abbildung des Herzens in einem Computermodell wollen Forschende am KIT dazu beitragen, die Diagnose und Therapie von Herzerkrankungen zu verbessern.
Portraitbild von Stephanie Appel. Amadeus Bramsiepe, KIT
Das Vorhofflimmern, eine Herzrhythmusstörung, ist Gegenstand des Promotionsprojekts von Stephanie Appel.
Portraitbild von Axel Loewe. Amadeus Bramsiepe, KIT
Axel Loewe leitet die Arbeitsgruppe am KIT, die die unterschiedlichen Funktionen des Herzens mithilfe mathematischer Gleichungen abbildet.