Nanopartikel als Durchbruch in der Krebsforschung?
Forschende des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), des Max-Planck-Instituts für Multidisziplinäre Naturwissenschaften und der Universitätsmedizin Göttingen haben eine bahnbrechende Methode entwickelt, um Bauchspeicheldrüsenkrebs in Zukunft effektiver und mit weniger Nebenwirkungen zu behandeln. Der neue Behandlungsansatz nutzt winzige Nanopartikel, die Medikamente direkt und gezielt an Krebszellen abliefern. Für die Krebsforschung könnte dies einen Durchbruch bedeuten.
Bauchspeicheldrüsenkrebs ist eine der tödlichsten Formen von Krebs. Er wird häufig sehr spät erkannt, da die frühen Stadien der Krankheit selten Symptome wie Schmerzen verursachen. Die herkömmlichen Behandlungsmethoden wie Chemotherapie mit sogenannten Zytostatika sind oft nicht ausreichend wirksam und schädigen zusätzlich gesundes Gewebe. Das führt zu erheblichen Nebenwirkungen und einer verringerten Lebensqualität der Betroffenen.
Die Ausgabe 2024/2 des Forschungsmagazins lookKIT widmet sich Methoden und Technologien zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung.
Zum MagazinSeit gut zehn Jahren suchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Chemie, der Biologie und der Medizin unter der Leitung von Professor Claus Feldmann und Professorin Frauke Alves nach einer Lösung. Ihre Idee: Mit winzigen Nanopartikeln könnten sie den Krebs gezielter therapieren.
Die Feldmann-Gruppe am Institut für Anorganische Chemie des KIT hat sich auf die Entwicklung neuer Materialien für medizinische Anwendungen spezialisiert. Die ausgewiesene Krebsexpertin Alves leitet eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe am Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften sowie an der Universitätsmedizin Göttingen. In enger Zusammenarbeit sind die Forschenden der Lösung Schritt für Schritt nähergekommen. Nun sind die ersten Versuche erfolgreich verlaufen und die nächsten Schritte müssen zeigen, ob die neue Methode hält, was sie verspricht.
Nano-Bus für zielgerichtete Therapien
„Die Nanopartikel, die wir entwickelt haben, funktionieren im Prinzip wie ein Bus“, erklärt Feldmann. „Randvoll mit Zytostatika fährt dieser Bus genau dorthin, wo die Patientin oder der Patient das Medikament benötigt – in unserem Fall: Haltestelle Tumor in der Bauchspeicheldrüse.“ Die Nano-Busse mit dem Medikament sind extrem klein: Nur 20 bis 100 Nanometer, viel kleiner als Blutkörperchen und sogar kleiner als die meisten Viren.
„Unsere Nanopartikel sind in der Lage, das Chemotherapeutikum Gemcitabin in hoher Konzentration direkt zu den Krebszellen zu transportieren“, verdeutlicht Alves. „Durch diese gezielte Abgabe des Medikaments am Tumor können die Tumorzellen effektiver bekämpft und gesundes Gewebe geschont werden.“ Zurzeit verabreicht man Patientinnen und Patienten den freien Wirkstoff als Infusion, der sich dann im ganzen Körper verteilt. Weil Zytostatika aber Zellgifte sind, welche die Zellteilung und damit die Vermehrung von Tumorzellen hemmen, können sie in allen Körperregionen schädliche Nebenwirkungen verursachen.
Bauchspeicheldrüse
Die Bauchspeicheldrüse, auch Pankreas genannt, befindet sich im Bauchraum des Menschen und ist etwa 15 bis 20 Zentimeter lang. Das Pankreas spielt eine zentrale Rolle bei der Verdauung durch die Produktion von Verdauungsenzymen und bei der Regulation des Blutzuckerspiegels durch die Produktion der Hormone Insulin und Glukagon.
Präzise Medikamentenabgabe dank undichter Blutgefäße
Die neu entwickelten Nanopartikel transportieren Medikamente, ähnlich wie Busse Passagiere befördern, und bringen sie direkt zu den Krebszellen, wo sie ihre Wirkung entfalten sollen. „Im Gegensatz zu Bussen bestehen unsere voll beladenen Nanopartikel zu 80 bis 90 Prozent aus Wirkstoff. Und bei uns löst sich dieser Bus samt Inhalt komplett auf, sobald er das Ziel erreicht und den Wirkstoff freigesetzt hat“, erläutert Dr. David Rudolph, ein ehemaliger Doktorand in der Feldmann-Gruppe. Rudolph bereitet aktuell die Ausgründung vor und wird zukünftig das Unternehmen leiten, das den innovativen Behandlungsansatz weiterentwickeln und die Nanopartikel auf den Markt bringen soll.
Der Trick bei dem neuartigen Ansatz: Die Blutgefäße in Tumoren unterscheiden sich von denen in gesundem Gewebe. Sie sind häufiger undicht, was dazu führt, dass Nanopartikel leichter in das Tumorgewebe gelangen. Dieses Prinzip sei längst bekannt, sagt Alves. Die Nanopartikel aus dem gemeinsamen Projekt reichern sich daher verstärkt in Tumoren und nicht an anderer Stelle im Körper an – sie bleiben an der Zielhaltestelle regelrecht hängen und geben den Wirkstoff frei. „Wir haben einen Farbstoff mit in den Nano-Bus gegeben, ihn in Versuchen mit Mäusen mittels optischer Bildgebung verfolgt und gesehen, dass unsere Partikel vermehrt im Tumor ankommen“, so Alves weiter. Es habe sich gezeigt, dass alles so ablaufe wie vorhergesehen.
Hoffnung auf eine bessere Behandlung
Die vorläufigen Ergebnisse dieser Forschung sind äußerst vielversprechend. Sie machen Hoffnung auf eine effektivere und sicherere Behandlungsmethode für Bauchspeicheldrüsenkrebs. Nach dem ersten Tiermodell in Mäusen muss die Methode aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen zusätzlich in einem zweiten Tiermodell erfolgreich getestet werden, bevor klinische Studien am Menschen durchgeführt werden dürfen.
„Erst wenn wir die Sicherheit und Wirksamkeit dieser Nanopartikel bei Menschen nachweisen können, macht es Sinn, sie im großen Stil produzieren zu lassen. Und erst dann können Ärztinnen und Ärzte die Methode einsetzen“, beschreibt Rudolph die nächsten Schritte. Wegen der Regularien rechnen die Forschenden damit, dass der Einsatz in der Klinik sicherlich noch fünf Jahre dauern und zwischen zwei und fünf Millionen Euro insbesondere für klinische Studien kosten wird – obwohl sie ausschließlich bereits zugelassene Medikamente verwenden.
„Langfristig könnte diese Technologie auch für die Behandlung anderer Krebsarten angepasst werden“, ist Feldmann zuversichtlich. Das wäre ein echter Meilenstein im Kampf gegen die Volkskrankheit.
Martin Grolms, 11.07.2024