Prototypen von Wasserstoffautos und -flugzeugen bereits in den 1970ern
Neu sind die Erkenntnisse nicht: Wasserstoff wurde schon 1766 vom englischen Chemiker Henry Cavendish entdeckt und 1787 von Antoine Lavoisier benannt. Der Begründer der modernen Chemie erkannte, dass bei Verbrennung des energiereichen Gases Wasser entsteht und bezeichnete es deshalb als „hydrogène“, abgeleitet vom lateinischen hydrogenium: „Wasser erzeugender Stoff“. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde Wasserstoff über Kohlevergasung hergestellt und als wesentlicher Bestandteil des im Stadtgasnetz verwendeten Gasgemisches im Ruhrgebiet zur Straßenbeleuchtung und Hausheizung verwendet.
Die Bedeutung von Wasserstoff für die Mobilität wurde insbesondere in der Energiekrise der 1970er-Jahre erkannt. Um die Abhängigkeit von Ölimporten zu verringern, wurden unter anderem an den Vorgängerinstitutionen des KIT Prototypen für wasserstoffbetriebene Straßen- und Schienenfahrzeuge sowie Flugzeuge entwickelt. „Am damaligen Kernforschungszentrum Karlsruhe entstand ein Antriebskonzept für einen Wasserstoffbus mit Brennstoffzelle“, berichtet Jordan. Große Autohersteller produzierten und vermarkteten kleinere Serien an wasserstoffbetriebenen Autos – häufig mit Förderung durch öffentliche Gelder. „Vielfach verschwanden diese Konzepte in den Schubladen, die Technik galt als zu teuer“, konstatiert der Wasserstoffexperte. Die Herausforderungen der Klimakrise und Benzinpreise von zwei Euro pro Liter haben diese Einschätzung geändert.
Grüner Wasserstoff: eine Mangelressource
Ein Problem bleibt die mangelnde Verfügbarkeit von Grünem Wasserstoff: „In der Wasserstoffwirtschaft wird unterschieden zwischen Grünem Wasserstoff, der aus erneuerbaren Quellen wie Sonne, Biomasse oder Wind stammt, und Grauem Wasserstoff aus fossilen Rohstoffen“, erläutert Jordan. Dabei werde Wasserstoff schon heute kommerziell in erheblichem Umfang erzeugt, weltweit etwa 120 Millionen Tonnen pro Jahr. „Allerdings sind über 99 Prozent davon Grauer Wasserstoff mit einem enormen ökologischen Fußabdruck von zehn Tonnen ausgestoßenem klimaschädlichem CO2 pro produzierter Tonne Wasserstoff.“
Einen wesentlichen Anteil hat dabei die Petrochemie, wo der erzeugte Wasserstoff allerdings gleich wieder zur Raffinierung von Öl zu Benzin, Diesel oder Kerosin verbraucht wird. „Es besteht also ein gewaltiges Potenzial, CO2 zu reduzieren, indem wir konventionell hergestellten Wasserstoff durch Grünen Wasserstoff ersetzen“, folgert Jordan. Um auf dem „Königsweg“ zur Herstellung von Grünem Wasserstoff aus grünem Strom und Elektrolyse endlich weiter voranzukommen, fehle allerdings bislang eine wasserstofffreundliche Gesetzgebung, beklagt der Wissenschaftler. Neben den erforderlichen Mengen an geeignetem Strom fehlen auch Produktionskapazitäten bei der Elektrolyse.
Ausbau der Infrastruktur ist mit einigen Herausforderungen verbunden
Ein weiterer Stolperstein könnten Sicherheitsaspekte sein – auch wenn der Umgang mit Wasserstoff nicht automatisch gefährlicher sei als mit anderen Energieträgern wie Benzin oder Strom, betont Jordan. Dezentral mit erneuerbaren Energien oder in anderen, mit mehr Sonne und Wind begünstigten Ländern erzeugter Wasserstoff könnte sicher durch vorhandene Gasleitungen oder wie Erdgas verflüssigt per Schiff transportiert werden. „Hier sind Profis schon am Werk, um den Transport nach und in Deutschland sicher zu gestalten“, sagt Jordan, der selbst seit vielen Jahren zur Sicherheit bei der Nutzung von Wasserstoff forscht.
Jedoch sei die Verteilung an private Endkundinnen und -kunden bislang wenig verbreitet: Aufgrund seiner geringen Dichte erfordern Lagerung und Transport von Wasserstoff viel Raum, tiefste Temperaturen oder hohe Drücke, bis zum 1000-fachen des Umgebungsdrucks. Deutschlandweit gibt es erst etwa 100 Wasserstofftankstellen, die komprimierten Wasserstoff anbieten – eine davon am KIT für zwei wasserstoffbetriebene Busshuttles. „Tiefkalter oder verflüssigter Wasserstoff ist an diesen öffentlichen Tankstellen überhaupt noch nicht erhältlich“, so Jordan. Große Speicher, die für eine großflächige Verteilung über Tankstellen notwendig wären, sind ebenfalls selten.
In einer Hochskalierung der Wasserstoffwirtschaft kämen zunehmend technische Laien in Berührung mit Wasserstoff, gibt Jordan zu bedenken. Ob beim Tanken oder im heimischen Keller, wo über Brennstoffzellen oder Kraft-Wärme-Kopplung bei Bedarf mit Wasserstoff erzeugter Strom in das Netz eingespeist werden kann, die Endkundinnen und -kunden kämen unmittelbar in Kontakt mit dem neuen Energieträger. Dies erfordere ein noch besseres Verständnis vom Verhalten von Wasserstoff bei Unfällen im Alltag. Außerdem brauche es fehlertolerante Technologien, größtmögliche Transparenz und eine umfängliche Kommunikation, die den Ausbau der technischen Infrastruktur begleite, fordert Jordan: „Wasserstoff braucht nicht nur Akzeptanz, sondern auch Vertrauen.“
Felix Mescoli, 18.01.2023